: Berliner Schüler auffallend auffällig
Nach einer Studie haben Berliner Kids mehr Probleme als die Brandenburger. Schulpsychologen tagen in Berlin
„Mit Brandenburgern arbeite ich viel lieber zusammen. Die sind besser erzogen als die Berliner.“ Das sagte einmal ein Angestellter eines großen Autoherstellers dem Wissenschaftler Detlef Berg von der Universität Bamberg, als beide über Jugendliche und Auszubildende sprachen. Was Berg damals als nicht begründbares Vorurteil ansah, bestätigt er jetzt selbst – zumindest zum Teil – in einer bislang noch nicht veröffentlichten Studie über Verhaltensauffälligkeiten von Grundschülern. Die Untersuchung stellte er in dieser Woche auf der Bundeskonferenz für Schulpsychologie an der Humboldt-Universität vor.
Zusammen mit den beiden Berliner Schulpsychologen Katharina Winkelmann und Klaus Seifried hat Berg die Lehrer von 9.580 Grundschülern aus sechs ausgewählten Bezirken der Hauptstadt befragt (Berlin hat insgesamt rund 90.000 Grundschüler) – anonym versteht sich. Nach dem Vergleich der Daten mit drei ungefähr gleich großen Untersuchungen kam er zu dem Schluss, dass die Kinder aus Mitte, Tiergarten, Wedding, Marzahn, Hellersdorf, Steglitz und Zehlendorf sich nicht von denen in Bamberg oder Stuttgart unterscheiden.
Aber sie zeigen ein anderes Verhalten als die im Land Brandenburg. Die Lehrer in Frankfurt/Oder, Schwedt und in der Uckermark gaben viel weniger Auffälligkeiten im Verhalten der Schüler an als die in den anderen Städten.
Den Wissenschaftlern ging es um das, was die Lehrer täglich bei ihren Schülern sehen: Unkonzentriertheit, Überempfindlichkeit, Leistungsstörungen, Ängstlichkeit oder Wutausbrüche. Festgestellt wurde, dass rund 22 Prozent aller Grundschüler in Berlin stark verhaltensauffällig sind, was heißt, dass von insgesamt 21 als auffällig bezeichneten Merkmalen mindestens zwei stark zutrafen.
Kaum einen Unterschied gab es zwischen den einzelnen Klassenstufen, lediglich zwischen Mädchen und Jungen. In Berlin sind es 29 Prozent der Jungen, die den Unterricht stören, bei den Mädchen ist es gut die Hälfte. In Brandenburg liegt der Prozentsatz „auffälliger“ Jungen bei 20 Prozent, bei den Mädchen bei rund acht Prozent. Bis zur sechsten Klasse holt Brandenburg zwar auf, erreicht Berlin aber nicht.
Nach den Erkenntnissen Bergs gibt es die meisten verhaltensauffälligen Schüler – 24,4 Prozent – im Bezirk Tiergarten. Die Bezirke Mitte und Zehlendorf bilden das Schlusslicht mit 20 und 17 Prozent. Diese Ergebnisse sind laut Berg unabhängig davon, wie viele Schüler mit nicht deutscher Muttersprache in den bis zu 35 Schülern starken Klassen sitzen.
Ganz oben auf der Liste der auffälligen Merkmale bei Grundschülern steht Unkonzentriertheit. Danach folgen Ungenauigkeit beim Arbeiten, allgemeine Leistungsstörungen, motorische Unruhe und mangelnde Leistungsmotivation. In diesen Punkten stimmen die Untersuchungen in den untersuchten Regionen komplett überein. Die Ursachen dafür seien wohl in der Schule wie auch im Elternhaus zu suchen. „Deshalb muss eine Intervention auf allen Ebenen stattfinden“, schlussfolgert der Schulpsychologe Seifried. Es müssten klare Strukturen in der Ausbildung der Kinder geschaffen werden.
Berg zieht ein ähnliches Resumée aus der Studie: „Es besteht Handlungsbedarf, weil es eine große Anzahl von Klassen gibt, wo Unterricht nicht mehr möglich ist.“ Aber man solle nicht nur auf die negativen Merkmale gucken, „es könnte ein generelles Problem sein, dass man nur auf die Schwierigkeiten sieht“.
GÜNTER MARKS, DDP
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