Sanfter Spott, blanker Hass

Der Gegensatz zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli scheint unversöhnlich. Doch dank Führungswechsel, Biersolidarität und stadionalem Respekt nähern sich die Fußballclubs zaghaft an

aus Hamburg JOACHIM FRISCH

Noch acht Tage, dann ist es endlich so weit: Am 20. 10. wird ein neuer Vorstand gewählt, dann sind die Fans des FC St. Pauli Heinz Weisener los, den Präsidenten, Patriarchen und Despoten. Die Internetadresse weisenermussweg.de, laut Bild eine „Hass-Homepage“, hat ihren Zweck erfüllt und kann ihrer Nachfolge-Seite welovestpauli.de Platz machen. Dann endlich brechen bei St. Pauli unter Nachfolger Reenald Koch, ehemals Pauli-Profi und jetzt Firmenmanager, Zeiten der Demokratie an.

Absurd, dass sich ausgerechnet dieser Verein, Heimstatt aller antifaschistischen, antisexistischen, linken, autonomen und sozialrevolutionären Fußballfans, gerade erst vom vorkapitalistischen, autokratischen Führungsprinzip verabschiedet und zum modernen, liberalen Kapitalismus hin fortschreitet? Die Antwort lautet: ja. Natürlich ist es absurd, wie ja das ganze Brimborium um den Profifußball absurd ist, und nicht zuletzt auch die Gemütslage der Fans.

Da gibt es in Hamburg noch einen zweiten Proficlub, der ungleich erfolgreicher ist als der FC St. Pauli, weil er sich ohne Murren den Gesetzen des Marktes fügt und sich von den Profis der Ufa vermarkten lässt. Dafür hassen Pauli-Fans diesen Club: „Football forever – HSV never“, lautet die Losung eines Pauli-Skins im Netz, der immerhin den Namen des Feindes ausspricht bzw. -schreibt. Andere sagen nur: „Die mit den drei Buchstaben.“

Für den harten Kern des HSV-Pöbels sind Pauli-Fans nur „Zecken“, schon das Wort Pauli kommt ihnen nicht über die Lippen. Allein die Existenz des Pauli-Fan-Vereins „BallKult“, der laut Satzung „gegen Rechtsextremismus und Sexismus“ eintritt, bringt das Blut derer, die in HSV-Bettwäsche schlafen, in Wallung.

Sämtliche Nuancen von sanftem Spott bis hin zu blankem Hass zwischen den Fan-Lagern treten stets dann zutage, wenn Spieler direkt überlaufen, wie jüngst Torwart Carsten Wehlmann vom Kiez zum Volkspark. HSV-Fans übten sich sogar in Wortspielen, was ansonsten Domäne ihrer Feinde vom Kiez ist. „Carsten, dich Wehl man(n) hier nicht“, begrüßten sie den Torwart zum Saisonauftakt. Zornig waren auch die Paulianer. „Carsten: You’ll ever walk alone“, war einer der harmlosen Wünsche; Wehlmann wurde im Netz als Lügenbaron, Betrüger, Heuchler-Gott, Ratte und sogar als Strunz beschimpft, sein Arbeitsplatzwechsel Hochverrat genannt und Kneipenverbot für St. Pauli auf Lebenszeit gefordert.

Haftbar gemacht für den Verrat wurde ausgerechnet das große antifaschistische Denkmal Volker Ippig („Volker, hör die Signale“), der einstige Hafenstraßenbewohner, weil er als St.-Pauli-Torwarttrainer Wehlmann zum Wechsel ermuntert hatte. Ippig verbat sich die „ideologische Zwangsjacke“ und konterte: „Was ist ein St. Paulianer? Gibt es da zehn Gebote oder was? Wer bestimmt das? Das muss doch jeder für sich selbst bestimmen.“

St. Pauli wäre nicht St. Pauli, wenn sich nicht inmitten des Fan-Mobs die Stimmen der Versöhner und Mahner erhöben: „Ich hätte nie gedacht, dass Gedankengut à la ‚Blut und Ehre‘ aus Mündern von Paulianern hallen. Ich schäme mich gerade, Pauli-Fan zu sein.“ Vielleicht macht diese Fähigkeit zur internen Auseinandersetzung den Unterschied beider Lager aus.

Sicher, auch beim HSV hat sich was getan. Rassistische und faschistische Sprüche werden im neuen Stadion nicht geduldet, rechte Schmuddelkinder müssen draußen bleiben. Doch der Wind weht von oben, von dort wurde das fürs Geschäft notwendige Quantum an Toleranz und Vernunft verordnet. Dem Hass auf St. Pauli an der Basis aber ist nur schwer beizukommen.

Dabei wollen doch alle das Gleiche: Ein schönes Stadion, prima Stimmung und gewinnen. Ersteres hat nur der HSV, das andere gab’s nur bei St. Pauli – bis zum Champions-League-Auftritt des HSV gegen Juventus Turin. Bei jenem denkwürdigen 4:4 zeigten auch HSV-Fans eine an Massenhysterie gemahnende Laune. Tolle Stimmung attestierten sogar St.-Pauli-Fans, die selbstverständlich als Turin-Anhänger johlten. Andere lobten das schmucke Stadion, nicht ohne Neid. Schritte der Annäherung?

Vielleicht. Im Hamburger Fan-Projekt herrscht jedenfalls gedämpfter Optimismus, immerhin sind gemeinsame Projekte wie Fußballturniere mit gemischten Fan-Mannschaften und Fan-Reisen allesamt ohne Zwischenfälle verlaufen. Ein weiteres versöhnliches Zeichen: Im großen Bierstreit Anfang 2000, als der Hamburger Senat dem HSV, nicht aber dem FC St. Pauli den Ausschank von alkoholischen Getränken untersagte, bekundeten Paulianer öffentlich Solidarität mit den dürstenden Kontrahenten. Wenn das mal kein gutes Omen ist.