Ausgrenzung durch Armut

■ Im reichen Hamburg leben 18,2 Prozent der unter 15-Jährigen von Sozialhilfe. Jugend-Initiativen fordern staatliche Soforthilfe

„Armut macht nicht kriminell“, sagt Professor Michael Lindenberg. Wenn dieses Vorurteil zuträfe, dann hätte diese Stadt ein wirkliches Problem mit der Jugendkriminalität. Es sei „geradezu verwunderlich, wie resistent die Kids sind“. Denn arme Kinder, weiß der Vertreter der sozialpolitischen Gruppe Hamburger Signal, gebe es auch in der Hansestadt viel zu viele. Über 70 VertreterInnen von Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Initiativen aus dem Jugendbereich diskutierten gestern im Rathaus auf Einladung der Bürgerschaftsgruppe Regenbogen und des Hamburger Signal über das Thema „Armut im Reichtum“ und was dagegen zu tun sei.

18,2 Prozent aller unter 15-Jährigen lebten in der reichen Kaufmannsstadt an der Elbe von Sozialhilfe. Hinzu kämen Kinder aus Familien, die wegen Arbeitslosigkeit oder mies entlohnter Jobs der Eltern am Rande des Sozialhilfeniveaus existieren müssen. Das Sta-tistische Landesamt hat errechnet, dass nur 43 Prozent der erwerbstätigen HamburgerInnen ausreichend Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen. Die erschreckends-te Folge, sagt der Regenbogen-Abgeordnete Lutz Jobs, „ist der Ausschluss der Betroffenen vom gesellschaftlichen Alltag und von Zukunftschancen“.

Ein konkretes Bild davon zeichnete Britta Brenner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg. In der niedersächsischen Stadt ergab eine Befragung von Sozialhilfehaushalten kürzlich „katastrophale Ergebnisse, die auf Hamburg“, vermutet sie, „wahrscheinlich übertragbar sind“. Danach hätten 69 Prozent der befragten Eltern ihren Kindern keine Grundausstattung für die Schule kaufen können, weil die Sozialämter die meisten dementsprechenden Anträge gesetzeswidrig ablehnten. Ebenso würde die Hälfte aller Zuschüsse für Fahrten und Ausflüge nicht bewilligt. „Die Klasse geht auf Reisen“, so Brenners Fazit, „und die Armen bleiben zu Hause.“

Kurzfristig, so die einhellige Forderung der Initiativen, müssten die staatlichen Geldleistungen an sozial Schwache erhöht und die berechtigten Anträge auch bewilligt werden. Auch dürfe das Kindergeld nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet werden. Allein dadurch habe Hamburg in diesem Jahr etwa 146 Millionen Mark eingespart. Auch mit Nulltarifen und stärkeren Ermäßigungen bei Vereinen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen oder öffentlichen Verkehrsmitteln könnte die Ausgrenzung durch Armut vermindert werden. Da allerdings, warnt Lindenberg, müsse man aufpassen, „dass das nicht zu einem diffamierenden Armenausweis wird“. Sven-Michael Veit