WDR-Mengengerüst in Schieflage

Das Fernsehprogramm der größten ARD-Anstalt lechzt nach Quote und jungen Zuschauern. Dafür wird im Programmschema 2001 das ohnehin auf den späten Abend beschränkte Angebot an Kultur- und Geschichtssendungen weiter drastisch reduziert

von STEFFEN GRIMBERG

Der WDR werde draußen vor allem daran gemessen, wie er mit seinen Kulturprogrammen umgeht, wird der eben wiedergewählte Intendant des größten ARD-Senders gern zitiert. Drinnen sieht es in Fritz Pleitgens Anstalt ganz anders aus: Das Programmschema 2001 des WDR-Fernsehens, das der taz vorliegt, räumt in Sachen Kultur auf breiter Front ab.

Das Geschichtsmagazin „Spuren“ und die „Leselust“, eine der wenigen verblieben Literatursendungen im Fensehen überhaupt, fallen ab dem kommenden Jahr ersatzlos weg. Historisch ist ab Jahresende auch die „Rückblende“. Das Ende der experimentierfreudigen Reihe war schon länger beschlossene Sache, seit September laufen ohnehin nur noch Wiederholungen.

Zudem wird die Sendezeit für Geschichts- und Kulturfeatures künftig halbiert: Statt jeweils einem eigenen 45-Minuten-Sendeplatz pro Woche soll künftig der bisherige Geschichtstermin (freitags ab 23 Uhr) für beide reichen. Dafür bekommt die Kultur eine eigene Matinee zu ungünstiger Sendezeit am Sonntagmorgen.

„Durch die Vielzahl zeitgeschichtlicher und historischer Dokumentationen ist der öffentlich-rechtliche Auftrag in diesem Bereich erfüllt. Das Geschichtsmagazin ‚Spuren‘ stellt ein zusätzliches Angebot dar“, heißt es lapidar im Papier der zuständigen Sender-Arbeitsgruppe – bezeichnender Name: „AG Mengengerüst“ – und kann daher ruhig wegfallen. Ebenfalls abgeschaltet wird nach der vorliegenden Planung auch die glücklose „WDR Talkshow“.

Denn: Das WDR-Fernsehen müsse sich „deutlicher als spannendes, innovatives Programm profilieren und auch jüngere Zuschauer verstärkt ansprechen“, lautet das übergeordnete Ziel. Doch gerade Sendungen wie die „Spuren“ stehen für innovatives Programm: Geschichte in Magazinform, mit der Möglichkeit – am vergangen Freitag zu besichtigen –, auch Bezüge zu aktuellen Themen wie Jugoslawien, Benzinpreisen und – ja, auch das – dem Oktoberfest herzustellen.

Die Quote ist ab sofort Trumpf im werbefreien Dritten Programm, und was bisher schon für die abendliche Hauptsendezeit galt, diktiert künftig auch die späteren Sendeplätze, die bisher vom strengen Messen der Programm-Controller leidlich verschont blieben: Auch ab 22.30 Uhr wird jetzt kräftig verschoben, um den „Audience Flow“ zu verbessern und sich gut gegen die „Konkurrenzprogramme“ zu positionieren. Das macht Sinn. Fragt sich bloß, was passiert, wenn die erwarteten Quoten trotz aussichtsreicherer Positionierung im Programm nicht erreicht werden.

Mit der neuen Strategie kündigt der WDR de facto einen noch unter seinem alten Programmchef Nikolaus Brender nach langem Ringen erreichten Kompromiss: Damals wurde das Hauptabendprogramm zur „mehrheitsfähigen Prime Time“ umgebaut, und dieser Wandel wurde von den RedakteurInnen vor allem deshalb mitgetragen, weil die nachfolgenden Sendungen vom Quotendiktat befreit waren.

Jetzt, so heißt es im Sender, seien offenbar weitere Einsparpotenziale in den Bereichen gesucht worden, für die das Herz der Programmchefs schon lange am wenigsten schlage. Dass Kultur und Geschichte ausdrücklich im Programmauftrag stehen, hilft auch nicht wirklich weiter, denn wie viel davon nötig ist, liegt im Ermessen des Senders.

Als „besonders zynisch“ empfinden die betroffenen Redaktionen dabei die vollmundigen öffentlichen Bekenntnisse des WDR in Sachen Kulturprogramm: „Langsames Erwürgen“, so heißt es intern, träfe die Sache wohl besser.

„Eine subtile Form von Demokratie in hierarchischen Anstalten“, so ein Mitarbeiter, seien auch Art und Weise der senderinternen Diskussion: Zwar seien eigens Arbeitsgruppen der betroffenen Programmbereiche gebildet worden. Das jetzt vorliegende Konzept erkläre den Abstimmungsprozess für beendet. Nur weiche es kaum vom ursprünglichen Enwurf der Programm-Controller ab, gebe aber vor, die Einwände und Argumente der Arbeitsgruppen einzubeziehen.

Und auch wenn die endgültige Zustimmung der WDR-Führung und der Gremien zum Programmschema 2001 noch aussteht, rechnen die Redaktionen mit dem Durchmarsch der Controller. Intendant Pleitgen, heißt es im Sender, sei eben in erster Linie ein kluger und gewichtiger Vertreter des aktuellen Journalismus. Ein entprechender Kämpfer für die andere, vielleicht etwas langsamere kulturelle Seite fehlt.

Und Nikolaus Brender ist jetzt Chefredakteur beim ZDF. Dort macht er jetzt Programmreform, bezieht dafür Prügel – und will neue Sendungen einführen. Unter anderem ein regelmäßiges Geschichtsmagazin.