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Manifest der Intelligenz

Roni Size und Reprazent stemmen sich mit ihrem „Heart Attack HipHop“ gegen den 2 Step-Trend

von THOMAS WINKLER

Gehn wir mal wieder tanzen. Das Zauberwort heißt heute Two Step. Kalte Rhythmen, geschnitten mit dem Seziermesser aus dem Computer, in extremen Kontrast gesetzt zu weichen, souligen Stimmen, die sich über Herzschmerz auslassen. Dies ist die Gegenwart der elektronischen Musik, die kommerziell erfolgreiche Gegenwart jedenfalls.

Stop. Da war doch noch was. Rewind. Ein Jahr, zwei, drei, vier Jahre. Stop. Da war doch Drum & Bass der heißeste Scheiß auf den Tanzböden Europas. Und mitten drin Roni Size und seine Crew Reprazent. Mit ihren fast schon akademischen Beats, die einen Freiraum schufen, in dem plötzlich alles möglich schien, machten sie die britische Hafenstadt Bristol zum Mittelpunkt des Aufbruchs der Computerklänge in den Mainstream. „New Forms“, ihr Album von 1997 hieß nicht nur so, sondern wurde allgemein als prophetisch gefeiert, und das nicht nur unter DJs und anderen Berufsnachtschwärmern. Reprazent waren die ersten, die einer Musik, die einmal eindeutig zum Tanzen bestimmt war, neue Hörerkreise erschlossen. Die Welt aus Ohrensessel und Kopfhörer wurde erobert.

Fast Forward. Wieder angekommen im Jahre 2000 ist die Karawane weitergezogen. Roni Size aber ist immer noch da. Gerade sitzt er mit Onalee, der Sängerin von Reprazent, in einem Berliner Café, Sonnenbrillen auf den Nasen, und man diskutiert, ob auf der Karte irgendetwas Fischiges ist und ob man das noch essen darf, wenn man Vegetarier ist. Er nuschelt und sie lispelt. Das ist etwas irritierend.

Reprazent haben mittlerweile einen „etablierten Namen“, sagt Roni Size. Und eine neue Platte, die „In the Mode“ heißt. Der Two-Step-Star Craig David hat derweil gleich zwei Tracks gleichzeitig in den britischen Top Ten platziert. Roni Size ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, nur mehr Pionier, als DJ und Produzent reif für die Ehrengalerie, von der Entwicklung in den ungewollten Ruhestand versetzt.

Dabei muss man Two Step gar nicht lesen als eigenständigen Stil – man kann ihn auch als Verfeinerung von Elementen sehen, die im Drum & Bass von Roni Size dereinst bereits angelegt waren. Der Rest sind mediale Kategorisierungen, Etiketten, Schubladen: Namen sind Schall, und den Rauch macht die Nebelmaschine zum Schwarzlichtstakkato auf der Tanzfläche. Aber: Reprazent haben eine Reputation zu verteidigen. „In the Mode“ soll ein Manifest sein für die Intelligenz auf den Tanzböden. „New Forms“ erklärt Size kurzerhand zur „Vorhersage für das Jetzt: Ein Skelett aus Ideen, Sounds und Produktionstechniken“. Die längst zum Klassiker gewordene Platte, für viele das perfekte Drum-&-Bass-Album, ist für ihn nur mehr „ein Entwurf, wohin wir wollten“.

Für „In the Mode“ sei man „weiter gegangen“. So ist die sanfte Grundatmosphäre, die den Erfolg von „New Forms“ begründete, verschwunden. Tatsächlich klingt „In the Mode“ oft rauer, unbehauener und zorniger als manche Platte, die die sechs von Reprazent in wechselnden Konstellationen all die Jahre auf ihrem eigenen Kleinstlabel Full Cycle in vergleichsweise bescheidenen Auflagen herausgebracht haben. Als sollte eine Linie gezogen werden zum Mainstream. „Ich habe ein Problem zu definieren, was Mainstream überhaupt ist“, sagt Roni Size, „ich sehe mich nicht neben Aqua oder irgendwelchen Boygroups. Das ist einfach nicht die Welt, aus der wir kommen. Mit Onalee habe ich in unseren Anfangstagen Jingles für Piratenradios gemacht, Dynamite habe ich bei einem Rave getroffen. Mit Wörtern wie ,Ausverkauf‘, ‚Mainstream‘ oder ‚kommerzieller Erfolg‘ komme ich nur in Berührung, wenn ich mit Journalisten rede.“

Vielleicht wegen dieser Verweigerungshaltung liegt ein seltsamer Staub auf „In the Mode“. Und dann auch wieder nicht. Es ist, als begegnen sich hier Vergangenheit und Gegenwart und – so Gott und Roni Size wollen – auch die Zukunft. Die Tracks werden gebaut, wie ein Mathematiklehrer Klausuraufgaben entwirft: Zweckgebunden, logisch, aber trotzdem vertrackt. Hier wummert nichts, hier werden Aufgabenstellungen säuberlich verrechnet: Die Songs müssen „funktionieren“, sagt Roni Size – ob im Club, im Autoradio oder für den Konsumenten zu Hause. Da ist elegantes Tröpfeln ebenso möglich wie brutales Technogeballer, stehen Klavierkaskaden neben harten Gitarrenriffs und die Wortschwälle des HipHop neben gefühligem Soul, dazu das bekiffte Schweben eines Dub-Riddims. In ihren besten Momenten begegnen sich diese widerstreitenden Elemente, als wären sie schon immer füreinander bestimmt gewesen.

Aber Reprazent suchen auf „In the Mode“ nicht nur verwegene Soundkombinationen, sondern auch neue, überraschende Koalitionen. Man begrüßt Gäste wie Zack de la Rocha, den Sänger von Rage Against the Machine, berühmt-berüchtigt dank ihrer Fusion aus Rap, brutalen Gitarren und Politaktivismus. Und tatsächlich: So wie Rage Against the Machine den Hörer mit schierer Energie überwältigen, scheinen das auch Reprazent nun öfters versuchen zu wollen. Es gibt Tracks auf „In the Mode“, die ohne elektronische Sounds womöglich auch als Punkrock durchgehen würden. „Heart Attack HipHop“ sei die angemessene Schublade dafür, beschließen Roni und Onalee lachend überm Krabbencocktail. Wenn dies also die Gegenwart ist, und wenn Roni Size und seine Kollegen sich auch nur einen Teil ihrer prophetischen Gabe erhalten haben, dann führt der Weg womöglich wieder zurück: Zu HipHop, zu Punk, zu frühem Techno. Zu Musik, die sich mit anarchischer Lust wehrt gegen ihre allzu leichte Konsumierbarkeit.

Stop. Eject. Vielleicht haben wir aber auch nur die Gegenwart der Zukunft von gestern gehört. Vielleicht. Aber dann ist „In the Mode“ immerhin noch eins: Ziemlich gute Musik, wagemutige Musik. Egal, wie sie heißt. Es sind halt Töne, es hat Rhythmus und es erfüllt seinen Zweck: Man kann dazu tanzen.

Roni Size/Reprazent: „In the Mode“ (Universal). Live: 3. 11. Hamburg, 6. 11. München

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