Abschied von Mutter Polin

Frauen müssen sich immer noch dafür rechtfertigen, wenn sie im Beruf gleichberechtigt sein wollen oder wenn sie nicht gleich heiraten wollen. Tabu sind Themen wie familiäre Gewalt, Abtreibung und Sexismus. Feministische Ansprüche gelten in Polen fast als gottlos. Gespräche mit Frauen, die es anders machen

von ANNETTE KANIS

Spül- und Waschmaschine schmeißen den Haushalt – und die Großmutter hütet die Kinder. Heile Welt für die polnischen Frauen? So sieht sie Hanna Gronkiewicz-Waltz und ist zufrieden. „Wenn meine Tochter ein Kind kriegt, würde ich sofort meine Unterstützung anbieten.“ Gronkiewicz-Waltz wird vermutlich eher Geld für ein Kindermädchen beisteuern als selbst die babysittende Großmutter zu geben. Dafür ist ihr der Posten als Präsidentin der polnischen Zentralbank zu wichtig. Sie ist eine der wenigen Polinnen, die es zu einem Spitzenjob gebracht haben.

Und sie wird Nachahmerinnen finden. Beispielsweise in der 26-jährigen Anita. Karriere statt Kinder – sie hat sich entschieden. In Krakau studiert sie Innenarchitektur. Das traditionelle familiäre Betreuungsmodell mit der Frau in der Hauptrolle wird ihre Sache nicht sein. Die meisten ihrer Kommilitonen sind Männer. Den typischen Attributen der polnischen Städterin – gefärbte Haare, lackierte Fingernägel, geschminktes Gesicht, dezentes Kostüm – setzt Anita Sneakers, beige Dreiviertelhosen, einen abgewetzten Nylonrucksack und eine raspelkurz rasierte Frisur entgegen.

Extravagant auch, dass sie mit ihrem Freund ohne Trauschein zusammenlebt. Sie will Möbeldesignerin werden. Ob es ihr dennoch so gehen wird wie der Freundin, die nicht angestellt wird wegen einer möglichen Schwangerschaft? In Stellenanzeigen sind, wenn überhaupt, nur Frauen mit stabilisierter Familiensituation erwünscht.

Bei mindestens zwei schon vorhandenen Kindern scheint der Arbeitsausfall gebannt. Die Chancen auf einen Job dürften bei Kataryna demnach nicht schlecht stehen. Die 21-Jährige hat gerade eine selbst finanzierte Ausbildung an einer Privatschule für Sekretärinnen begonnen. Ihr Traumjob: Sekretärin in einer internationalen Firma. Die zahlen am besten. Dass die sechs männlichen Absolventen ihrer Schule ihrer hervorragenden Ausbildung wegen sofort zum Abteilungsleiter avancierten – Kataryna nimmt es hin.

Drei Frauen in Polen. Keine Rede von Diskriminierung. So sind eben die Verhältnisse, eine Mischung aus katholisch geprägten Rollenzuweisungen und dem Mythos von der Matka Polska, der Mutter Polin, die sich der Nation aufopfert. Frauen, die gegen diese Traditionen aufbegehren, fallen auf – weil es nicht viele sind.

Anlass zum Aufbegehren gäbe es genug. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt, wo Frauen mit siebzig Prozent überproportional von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die unzureichenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Die öffentliche Ignoranz gegenüber der Gewalt in der Familie. Das strikte Abtreibungsverbot. Die Unterrepräsentanz in der Politik. Eine Diskussion über diesen Missstand ist schwierig, wenn die einen sich auf Menschenrechte, internationale Konventionen und Empfehlungen des Europarats berufen und die anderen über Matka Polska und göttlich bestimmte Rollenzuweisungen reden.

So umschreibt Agnieszka Graff die schwierige Situation in der Gesellschaft. Mit ihrem Text „Das Patriarchat nach der Sexmission“ ist die Dozentin für Literatur und Gender Studies zur bekanntesten Feministin ihres Landes geworden. Der Artikel erschien in der Gazeta Wyborcza, Polens größter linksliberaler Tageszeitung, und löste heftige Reaktionen aus. Denn Graff greift konservative Politiker, die katholische Kirche und besonders die nach wie vor fast unantastbare Solidarność an.

Sie hat stets die Frage im Sinn, warum Frauenbelange im öffentlichen und privaten Leben nicht ernst genommen werden. Vielleicht liegt es an „Seksmisja“. In dem populärsten polnischen Film des Jahres 1984 sieht Agnieszka Graff eine tief verwurzelte Basis für die Antipathie gegenüber dem Feminismus. In der Geschichte wird die Spezies Mann durch eine biologische Waffe ausgerottet. Die Frauen vermehren sich fortan durch künstliche Reproduktion und bauen in unterirdischen Räumen einen totalitären Frauenstaat auf.

Mitte der Achtzigerjahre war „Seksmisja“ eine komödiantisch gefärbte Allegorie auf die kommunistische Macht. „Der Film macht es auch heute noch schwer, ernsthaft über Feminismus zu reden“, meint Agnieszka Graff. Zu tief sitze die Gleichsetzung von Weibern und Kommunisten, zu nah sei das Lächerliche, mit dem hier weibliche Macht dargestellt werde.

Nicht nur wegen des sechzehn Jahre alten Films haben Feministinnen ein schlechtes, verzerrtes Image in Polen. Sie werden beschimpft als Hexen, Hysterikerinnen, Idiotinnen. Oder zumindest mit schiefen Blicken bedacht. Die Frauen vom Warschauer Frauenzentrum kennen das gut. Gelder der amerikanischen Fordstiftung und kommunale Zuschüsse finanzieren seit knapp sechs Jahren deren Arbeit. Die Schwerpunkte sind klassisch: juristischer und psychologischer Beistand für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, Beratung bei Diskriminierung am Arbeitsmarkt, in Scheidungsfragen.

Anna Swedrowska hat sich auf die Hilfe für vergewaltigte Frauen spezialisiert. Die 27-jährige angehende Juristin sagt, im Freundeskreis sei ihre Arbeit weitgehend akzeptiert, ergänzt aber doch zögerlich: „Die Männer machen sich öfter lustig über uns feministische Weiber.“ Wenigstens fällt sie rein äußerlich nicht aus dem Weiblichkeitsrahmen – schwarzer Rock, hohe Absätze, blondierte Haare, reichlich Make-up.

Anna Lipowska-Teutsch entspricht dem Emanzenklischee schon eher. Sie versinkt in ihrem grauen Fleecepulli, die Haare sind nachlässig zusammen gebunden, die Jeans ungewöhnlich für eine Polin in den Fünfzigern. Tiefe Falten prägen das ungeschminkte Gesicht. Sie müssen nicht Spuren sein ihrer Arbeit als Psychologin, die Suizidopfer in Krakau betreut. Aber sie könnten an Tage wie jene erinnern, als Anna Lipowska-Teutsch zwei Wochen lang eine Patientin betreute, die auf Raten starb. Mit wenigen Worten fasst sie deren Leben zusammen, dass geprägt war von krasser Gewalt. Sie konnte weder verhindern, selbst geschlagen zu werden, noch den sexuellen Missbrauch an ihrer Tochter.

Deshalb wollte sie Selbstmord begehen. Da die Frau als gute Katholikin Angst hatte vor der Suizidsünde, trank sie ein ätzendes Gift, das nicht sofort wirkte und ihr so ermöglichte, vor dem Tod noch zu beichten. Wut und Hilflosigkeit sind geblieben bei Anna Lipowska-Teutsch. Unwirsch wischt sie sich Tränen aus den Augen. Für sie wird stets unverständlich sein, warum die katholische Kirche sich so schwer tut, die autoritären Familienstrukturen anzutasten, und Gewalt lieber verschweigt als Mitleid mit den Opfern zu haben.

„Ich bin eine konfessionslose Christin.“ Lipowska-Teutsch nutzt die katholische Kirche nur noch, wenn sie einen Feind braucht. Zum Beispiel hat sie, als ihr der Ansporn fehlte für ihr letztes Buch, Radio Maria eingeschaltet, den erzkonservativen Radiosender. „Da wurden meine feministischen Gedanken auf Hochtouren gebracht.“

Die katholische Kirche als Gegenspielerin des Feminismus – ein altes Feindbild? Nicht nur. Manifestiert hat sich der weitreichende Einfluss des Katholizismus in dem strikten Abtreibungsgesetz von 1993. Für viele Frauen aus der Solidarność eine große Enttäuschung. Für Barbara Labuda zum Beispiel. In den Achtzigerjahren stark aktiv in der Gewerkschaftsbewegung, wechselte sie die politischen Seiten und ist heute Staatsministerin in der Präsidentenkanzlei. „Ich bin aus der Solidarność ausgetreten, weil sie sich zu einer ultrakonservativen Organisation gewandelt hat, mit der ich nichts mehr zu tun haben möchte, so restriktiv wie sie sich in der Abtreibungsfrage verhalten hat.“

Anfang der Neunzigerjahre war Barbara Labuda Mitverfasserin dreier Gesetzesentwürfe zur Liberalisierung der Abtreibungsbestimmungen – allesamt abgeschmettert. Und ihre Worte klingen bestimmt, wenn sie die fehlende Sexualerziehung an den Schulen anprangert und den schwierigen Zugang zu Verhütungsmitteln. Sich selbst sieht sie als Alibifrau. „Ich bin ein Beispiel, dass es in der Politik keine Diskriminierung gibt. Aber ich sehe ja, wie andere Frauen leben.“

Einige ihrer liberalen GesinnungsgenossInnen würden die mühselige Realisierung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit gerne verschieben bis nach den herbeigesehnten EU-Beitritt. Die EU-Gesetzgebung werde es schon richten. Agnieszka Graff lässt diese Hoffnung nicht gelten: „Die Franzosen haben ihren Käse, die Engländer ihre Könige, und die Polen haben die Diskriminierung der Frauen. Jedes Land hat halt seine Bräuche.“

ANNETTE KANIS, 31, lebt als Autorin in Düsseldorf. Sie hat Polen im September besucht