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Welt-Dorf im Norden

England und Brasilien, Hooge und Langeness: Ein Lexikon spürt Schleswig-Holsteins skurrilen Ortsnamen nach  ■ Von Heike Wells

Von der nordfriesischen Kreisstadt Husum nach England sind es keine 20 Kilometer. Denn England liegt in Schleswig-Holstein, genauer gesagt auf der Halbinsel Nordstrand, und Kalifornien an der Ostseeküste: Das Land zwischen den Meeren ist eine wahre Fundgrube für klangvolle und skurrile Ortsnamen.

Bei vielen davon liegt die Deutung nahe, etwa bei der Hallig Hooge, was im Plattdeutschen nichts anderes als „die Hohe“ bedeutet, erläutert der Historiker Fiete Pingel vom Nordfriisk Instituut (Nordfriesisches Institut) in Bredstedt. Hooge sei durch Jahrhunderte lange Sedimentation angewachsen auf den Resten des Strandwalls, der durch die Sturmflut von 1362 an der Nordseeküste zerschlagen wurde. Und Langeness sei friesisch-plattdeutschen Ursprungs, bedeute tatsächlich „lange Nase“ – schließlich ragt Hooges Nachbarhallig wie eine solche weit hinaus ins Watt.

Was aber ist mit Brasilien, Kamerun, Sibirien oder dem erwähnten England? Die Erforschung von Ortsnamen ist ein unübersichtliches Feld, spielen doch mit Deutsch, Niederdeutsch, Friesisch und Dänisch verschiedene Sprachen und ihre Mundarten eine Rolle sowie etliche weitere Faktoren: Die Begriffe können ihren Ursprung in Kultur- und Naturbezeichnungen, in geographischen, geologischen oder morphologischen Besonderheiten, aber auch in Personennamen haben, schreibt Wolfgang Laur in der Einleitung zu seinem „Historischen Ortsnamenlexikon von Schleswig-Holstein“ (Karl Wachholtz Verlag, Neumünster). Oder sie können Verballhornungen sein. So erklärt Laur Kalifornien und Brasilien (Teile der Ostsee-Gemeinde Schönberg im Kreis Plön) schlicht zu „Scherznamen“.

Die Namensforschung ist Laur zufolge ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft, das jedoch auch andere Disziplinen wie Geographie, Geschichte und Geologie berührt. In Schleswig-Holstein geben Aufzeichnungen aus Verwaltungs- und Kirchenarchiven wichtige Hinweise, darunter so alte Dokumente wie das Register über die Einkünfte des Domkapitels zu Schleswig von 1352 oder die so genannte Brunsche Liste von 1634. Vielfach aber bleiben die Forscher auf Spekulationen angewiesen, über die auch schon mal heftige wissenschaftliche Kontroversen geführt werden.

Den Schleswig-Holsteinern mit vermeintlich exotischen Wohnorten dürften die gleichgültig sein, auch wenn so manche Legende gesponnen wird. So habe England nichts mit dem gleichnamigen Staat zu tun, auch wenn auf Nordstrand die Version kursiere, dass in früheren Zeiten an dieser Stelle Schiffe aus England angelegt hätten, sagt Fiete Pingel: Der Ortsname sei vielmehr aus dem dänischen Wort für Wiese hergeleitet, was sich im Laurschen Lexikon bestätigt findet.

Was mögen wohl die Bewohner von Kamerun denken? Den Ort gibt es gleich zwei Mal im Lande: im Lauenburgischen, als Teil der Gemeinde Sterley, und in Rendswühren im Kreis Plön. Die Laursche Interpretation für den Namen ist in beiden Fällen die Selbe: Es handele sich um die „Übertragung des afrikanischen Landesnamens auf eine oft abgelegene Flur oder Siedlung“. Schließlich, so die ergänzende Erklärung, war das zentralafrikanische Kamerun zwischen 1884 und 1918 deutsche Kolonie.

Und wie, auch diese Frage muss erlaubt sein, kam das Dorf Berlin (Kreis Segeberg) zu seinem Namen? Und erst recht jenes idyllische Örtchen auf der Halbinsel Eiderstedt, das sich schlicht Welt nennt?

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