: Transparentes Ensemble
Die Grindel-Hochhäuser waren wegweisend für den Siedlungsbau. Manche MieterInnen haben ihr ganzes Leben dort verbracht ■ Von Gernot Knödler
Heidrun Hahn ist kein Landmensch. „Meine drei Blumen auf dem Balkon machen genug Arbeit“, sagt die 46-Jährige. Ihr ganzes Leben hat sie mit den Grindel-Hochhäusern verbracht, die nur wenig älter sind als sie selbst. Im Mai 1954 zogen ihre Eltern in das neue Hochhaus Brahmsallee 35 ein, im August kam Heidrun auf die Welt. Nur während eines zehnjährigen Intermezzos hat sie nicht hier gewohnt. Sie fühlt sich wohl in Deutschlands ältester Hochhaussiedlung, die kürzlich unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Aus Hahns Wohnzimmer geht der Blick hinaus an den Blumenkübeln vorbei, die von der Balkondecke hängen, zu den herbstlich verfärbten Bäumen im Park und hinüber zur gigantisch-gleichförmigen Fassade des Hauses Nummer 14: Ein schier unüberschaubares Feld quadratischer Fenster versteckt sich hinter den Bäumen, an den Flügeln eingerahmt von Gruppen länglicher Fenster.
Doch die Fassade der Nummer 14 ist untypisch für die Grindel-Häuser. Mit schmalen hellgelben Ziegeln verkleidet, wirken die Häuser freundlich. Ihre Fassaden sind klar in kurze Sequenzen aus Balkonen und Fenstern gegliedert, so dass sich der Blick nicht auf der Oberfläche der 9- bis 15-stöckigen Hochhaus-Scheiben verliert. „Im Sommer, wenn alle die Markisen herunter gelassen haben, ist es richtig idyllisch hier“, sagt Heidrun Hahn, und man glaubt es ihr.
Im Viertel gibt es keine Hausnummer doppelt, obwohl die zwölf Hochhäuser zu verschiedenen Straßen gehören. Sie stehen auf den Fundamenten des ursprünglich hier geplanten Hauptquartiers der britischen und amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland. Als sich die Alliierten dann für Frankfurt/Main entschieden, fiel die Baustelle brach. Der Senat hielt es für die wirtschaftlichste Lösung, die bereits fertigen Fundamente und die vielen Tausend Tonnen Baumaterial für den Bau von Hochhäusern zu verwenden.
Eine Gruppe politisch unbelasteter Architekten durfte ein großzügiges Ensemble transparenter Gebäude entwerfen. Über die gesamte Breite der Außenwand von Hahns Wohnzimmer ziehen sich Fenster. Im Erdgeschoss aller Hochhäuser befinden sich Laden-Lokale, die ebenso verglast sind wie die Hauseingänge. In der frisch sanierten Nummer 24 schwingen sich zwei Treppenspindeln frei zum ersten Stock hoch. Ein Umbau der Eingänge, der bei vielen Saga-Häusern aus den 70er Jahren nötig war, erübrigt sich hier.
Ganz andere Gründe waren es, die Hahn dazu bewogen, wieder an den Grindel zu ziehen. „Ich hatte kein Auto“, sagt sie schlicht. Das Hochhaus-Viertel wird von zwei U-Bahn- und drei Buslinien versorgt und liegt so zentral, dass sie heute mit dem Auto „immer stadtauswärts“ fährt – gegen den Strom der PendlerInnen. Mit ihrem Da-ckel Stony kann sie durch die Parks zwischen den Häusern spazieren und findet dabei immer jemanden zum Klönen. „Besser kann ich das gar nicht haben“, sagt Hahn.
Schon als Kind habe sie es ganz toll gefunden am Grindel. „Zu der Zeit wohnten sehr viele Kinder hier“, erzählt die 46-Jährige. Weil die Wohnungen klein waren, trafen sie sich auf den Spielplätzen und im Winter zum Schlittschuhlaufen auf dem Teich. Das Licht aus dem Bezirksamt Eimsbüttel, wo zu später Stunde die Putzfrau schrubbte, beleuchtete die Eisbahn, und die Eltern konnten auch spät abends noch aus dem Fenster nach dem Rechten sehen.
Das Wohnen in den Hochhäusern ist mit den Jahren wohl etwas anonymer geworden. Nachbarschaftliche Kontakte gebe es vor allem zwischen den Leuten, die schon seit Jahrzehnten dort wohnen, bestätigen Christel und Karl-Heinz Feld aus der Hallerstraße 1. Das Verhältnis der MieterInnen untereinander sei schwieriger geworden, seitdem zunehmend SozialhilfeempfängerInnen und AusländerInnen eingezogen seien.
Einander zu grüßen sei unter den BewohnerInnen keine Selbstverständlichkeit mehr, und auch die Vorstellungen von Sauberkeit gingen auseinander. „Es gibt Leute, die tragen den Müll am Müllschlucker vorbei und legen ihn dorthin, wo das Altpapier gesammelt wird“, sagt Karl-Heinz Feld. Er selbst und andere bemühen sich jetzt sanft darum, „dass die Leute Ordnung halten“.
Zu immerhin 20 bis 25 Nachbarn hat das Ehepaar Kontakt. Der Ano-nymität wirkt überdies entgegen, dass seit 13 Jahren die Tochter mit ihrer Familie auf derselben Etage wohnt. Das ist fast so wie bei Heidrun Hahn, deren Eltern noch immer in der Nummer 35 leben.
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