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Die Hebammen-Spitzel

■ Hebammen hatten im NS-Staat eine wichtige Machtposition / Rassenpolitik und Spitzeldienste

Am Anfang war eine Lücke: Sowohl in der Fachliteratur als auch in populärwissenschaftlichen Werken wird die Geschichte der Hebammen zwischen den Jahren 1933 und 1945 meist nur gestreift, fand Kirsten Tiedemann. Fast so, als wäre nichts passiert. Dass doch eine ganze Menge „passiert“ ist, konnte die Bremer Historikerin und frühere Hebamme Tiedemann jetzt nachweisen. Ihre Magistra-Arbeit über die Standesorganisation der Hebammen im NS-Staat löste inzwischen auch Diskussionen beim Bund Deutscher Hebammen aus.

Tiedemanns Ausgangsthese: Den zahlreichen damals arbeitslosen Hebammen mussten Hitlers Geburtensteigerungspläne doch entgegen gekommen sein. Tiedemann analysierte die Verbandszeitschrift der in der „Reichsfachschaft Deutscher Hebammen“ nun gleichgeschalteten Verbände. „Interne Konflikte, kontroverse Meinungen gehen daraus zwar nicht hervor“, meint Tiedemann, ihr ging es allerdings erst einmal auch um die offizielle Politik.

Schnell musste die Historikerin ihre Arbeitsthese weiter ausbauen: Hitlers Politik kam den Hebammen nicht nur entgegen. Ihr Berufsstand wurde sogar eng in den nationalsozialistischen Machtapparat eingebunden und direkt dem Reichsminister des Inneren unterstellt: Besonders Nanna Conti, die Leiterin der Einheitsorganisation half, das NS-System aufzubauen und förderte massiv die Einbindung von Hebammen in die NS-Bevölkerungspolitik.

Auf ihren Propagandareisen erklärte Conti den Hebammen ihre neuen Aufgaben: Zum einen sollten die Frauen das nationalsozialistische Leitbild von der arischen Rasse vermitteln und so genannte Erbkrankheiten verhindern. Per Pflichtverordnung, 1934 eingeführt, sollten zum Beispiel Babys mit Fehlbildungen gemeldet werden. 50 Pfennig gab es damals pro Anzeige.

Das nationalsozialistische Interesse an den Hebammen hatte aber noch einen weiteren Grund, glaubt Tiedemann: Die Frauen hatten wie kaum eine andere Berufsgruppe intime Einblicke in das Familienleben. Damals waren Hausgeburten üblich, bei diesen Besuchen sollten die Hebammen als Spitzel fungieren und Informationen über die Familien weiterleiten. Nanna Conti, bot dem NS-Staat ausdrücklich die Mithilfe an: Hebammen könnten Informationen für die „Erbgesundheitskarteien“ sammeln.

Dafür wurden mit dem „Reichshebammengesetz“ 1938 einige jahrzehntealte Forderungen der Hebammen erfüllt: Zum Beispiel die Hinzuziehungspflicht der Hebammen sowie eine bessere Ausbildung. Außerdem wurden die Approbation, die „Erlaubnis zur Führung einer Berufsbezeichung“, und eine Niederlassungserlaubnis eingeführt, die zu viel Konkurrenz verhinderte. „Das bedeutete eine Aufwertung des Berufsstandes aber gleichzeitig auch erheblich mehr Kontrolle durch den Staat“, erklärt Historikerin Tiedemann. Bis dato arbeiteten rund 95 Prozent der Hebammen freiberuflich und waren schwer kontrollierbar. Nun konnte das Regime renitenten Hebammen die Niederlassungserlaubnis oder Approbation entziehen. Und: Jüdische Frauen bekamen sie erst überhaupt nicht.

Erwartet hatte Tiedemann in der Zeitschrift der Reichsfachschaft Deutscher Hebammen anfangs noch seitenweise Themenschwerpunkte zum nationalsozialistischen Mutterkult. „Das allerdings war kaum Thema“. Statt dessen wu-cherte in dem zweiwöchentlich erscheinenden Blatt ein ganz neuer Schwerpunkt: „Erbgenetik und Rassenpflege“. Daneben dominierten ähnliche Themen aus „Wissenschaft und Forschung“. „Von den Standes- und Berufsangelegenheiten des Verbandsblattes gab es einen deutlichen Schwenk zu Bevölkerungs- und Rassenfragen“, urteilt Tiedemann.

Ihre Arbeit zeigt Frauen damit nicht nur als Opfer des NS-Regimes, sondern auch als Mit-Täterinnen: Die tägliche Praxis der Hebammen, die Frauen und Kinder angezeigt haben. Und darüber hinaus, die von Nanna Conti betriebene Mitarbeit ihrer Berufsgruppe bei der menschenverachtenden Bevölkerungspolitik, die damit Zwangssterilisierung, Zwangsabtreibung und Tötung befürwortete.

Für den Bund Deutscher Hebammen war das bis 1997 noch kein Thema: „Bis heute hat man sich noch nicht offiziell von der Mit-Täterschaft distanziert“, so Tiedemann. Ihre Kollegin hatte das 1997 auf dem Hebammenkongreß in Bremen schon einmal anstoßen wollen – und erntete neben beträchtlichen Beifall noch haufenweise Kritik.

Inzwischen begann auch beim Bund deutscher Hebammen ein Generationswechsel, vermutet Tiedemann. Auf der letzten Hauptausschusssitzung stellte die Historikerin ihre Magistra-Arbeit vor. „Ich glaube, das hat echt was bewegt: Viele Frauen haben mir signalisiert, wie wichtig es ist, sich der damaligen Macht in unserer Position klar zu werden.“ Derzeit will der Verband eine kritische Stellungnahme erarbeiten. pipe

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