Jammern statt Klotzen

In Berlin bekommen nur noch die besten Abiturienten einen Informatik-Studienplatz. Unis, Landesregierung und Unternehmen fordern sich gegenseitig zum Handeln auf

Mathe Eins, Geschichte Fünf, beim Singen durchgefallen? Und in Berlin studieren? Das geht ab jetzt nicht mehr. Wer sich als Computerfrickler mangels Interesse den Abi-Durchschnitt getrübt hat, stößt vor dem Informatikstudium auf ein Problem: den Numerus clausus (NC). Den gibt es jetzt in der Hauptstadt, während sich alle um den inländischen IT-Nachwuchs raufen.

Zuerst führten die Technische Universität (TU) und Humboldt-Uni (HU) den NC ein. Ab diesem Wintersemester macht auch die Freie Universität (FU) mit, um sich vor dem Bewerberüberschuss zu retten.

„Wir mussten viele Studierwillige enttäuschen“, sagt Elfriede Fehr, Dekanin am FU-Fachbereich Informatik. Denn es haben sich 500 auf die 150 Plätze beworben. Zwar könnte es Nachrücker geben, überlastet sei man aber sowieso. „Wir haben die Kapazitäten nicht so ausbauen können wie benötigt“, sagt Fehr. Als der akademische Senat im Juni seinen Entschluss zum NC bekannt gab, sammelte die Dekanin öffentlichkeitswirksam Spenden der Wirtschaft. Es kamen 20.000 Mark zusammen – „das reicht für einen zusätzlichen Tutor, sodass man die Übungsgruppen kleiner machen kann.“ Die 25 Prozent Überbelegung am Institut bewältigen die Lehrenden derzeit durch freiwillige Mehrarbeit. Von den „Schröder-Millionen“, mit denen der Kanzler Lücken in der IT-Ausbildung stopfen wollte, hat die FU bisher nichts abbekommen.

Auch im Berliner Senat seien die Verantwortlichen nicht aktiv geworden, sagt Fehr. Von dort ging der Hilferuf weiter an die Wirtschaft. Der Sprecher von IBM Deutschland, Thomas Mikeleit, antwortet mit einem Verweis auf Bayern: „An der TU München sind die Kapazitäten massiv hochgefahren worden.“ Für Mikeleit ist die NC-Notbremse „absolut kontraproduktiv“.

Ljiljana Nikolic, Sprecherin der Humboldt-Universität, entgegnet: „In Berlin gibt es viel mehr Mittelstand als große Unternehmen. Das kann man so mit München nicht vergleichen.“ Dort laufe eine von der Wirtschaft gestiftete Professur nicht nach fünf Jahren aus, sondern werde vom Staat weiterfinanziert. „Auch wir sind nicht glücklich mit dem NC“, sagt Nikolic. Damit die Ausbildung nicht unter überfüllten Hörsaalplätzen leidet, nimmt die HU im Wintersemester 320 von 600 Bewerbern. Im Moment gibt es 1500 Informatikstudenten, dabei sei eigentlich nur Platz für 470.

„Wir ermutigen die Abiturienten, sich einfach zu bewerben“, sagt indes Sieglinde Migdalek, Hochschulberaterin des Arbeitsamtes Berlin-Mitte. Viele Schulabgänger denken, der NC werde willkürlich festgelegt. „Dabei wird er ja erst aus den Bewerbungen errechnet.“ Im Moment liegt er an der TU bei etwa 1,8. Die Ermittlung läuft noch, denn jeder Angenommene hat zwei Wochen Zeit zum Überlegen.

Beim meistgefragten Informatikfachbereich an der TU haben sich 700 Leute gemeldet. Genommen werden können 300. Die Beschränkung sei ein Signal an die Wirtschaft, nicht nur zu jammern, heißt es von dort. Die Großen der IT-Branche engagieren sich insgesamt zu wenig, sagt auch Benjamin Hoff, bildungspolitischer Sprecher der Berliner PDS-Fraktion. „Es würde bis zu einem Drittel weniger Bewerber geben, würden die Unternehmen mehr Ausbildung bieten.“ Zudem sei die Quote der Studienabbrecher sehr hoch, weil Firmen die halbausgebildeten Informatiker weglockten und „so Kosten für die Grundausbildung sparen“.

Der Vorschlag der PDS: Die Unis müssen die Überlast kurzfristig abfangen, zum Beispiel indem sie nur Stiftungsassistenten anheuern statt hochkarätiger Profs; oder indem sie gemeinsam mit außeruniversitären Berliner Forschungszentren ausbilden. MARGRET STEFFEN