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„Kommt zurück zu Gabi!“

aus Cottbus JENS KÖNIG und LUKAS WALLRAFF

„Ihr kennt mich ja“, sagt Gabi Zimmer. „Ich heiße Gabi Zimmer, komme aus Thüringen.“ Während sich mit diesen Worten in einer trostlosen Messehalle die Kandidatin für den Chefsessel der PDS präsentiert, fliegt auf der anderen Straßenseite, im Block A des Stadions der Freundschaft, ein kleiner Mann in den blauen Cottbusser Nachmittagshimmel. Neben ihm heben 20.000 andere Menschen ebenfalls ab. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als jubelten sie, weil gerade ein Tor gefallen ist. Aber wer genauer hinschaut, erkennt, dass auf dem Fußballplatz hier in der Lausitzer Provinz gerade der Klassenkampf tobt. Energie Cottbus gegen Bayern München. Hier die armen Fußballarbeiter aus dem Osten – dort die schwerreichen Edelkicker.

Der kleine Mann, der gerade wieder auf seinem Sitzplatz in Block A gelandet ist, liebt diese Frontstellungen. Gregor Gysi hat ein untrügliches Gespür für sie. Deshalb hat er Lothar Bisky genommen und ist mit ihm ins Stadion gegangen. Obwohl er sich für Fußball eigentlich nicht interessiert. Davongeschlichen haben sie sich vom Parteitag.

Schließlich hatten sich die beiden gerade aus der Spitze der PDS verabschiedet. Jetzt sitzen sie gewissermaßen als Privatpersonen beim Fußball. Aber als um 16.30 Uhr Gabi Zimmer als Nachfolgerin von Bisky gewählt ist, bimmelt in Block A aufgeregt das Handy. „Kommt zurück“, schreit es aus dem Hörer, „ihr müsst Gabi die Blumen überreichen.“

Blumen! Jetzt! Ach Gottchen. Der Osten ist gerade dabei, den Klassenkampf für sich zu entscheiden. Gysi weiß, wo da ein Popstar zu sein hat. Auch Bisky ist klar, dass im Stadion der Freundschaft gerade mehr für das Selbstbewusstsein des Ostens getan wird als 500 Meter entfernt beim Parteitag der PDS. Da kann die Partei rufen wie sie will.

Gabi Zimmer (45) würde nie zum Fußball gehen, nicht mal aus Berechnung. Das sagt einiges darüber, wie groß die Lücke ist, die Gysi und Bisky in der PDS hinterlassen. Gabi Zimmer hat nichts übrig für Symbole. Sie ist fürs Konkrete, fürs Gemäßigte. Und sie hat in den letzten Wochen dazugelernt. Sie weiß heute, dass sie auf niemanden hören darf, der ihr sagt, wie sie als PDS-Vorsitzende zu sein hat. Sie wird nie ein Bisky und schon gar kein Gysi. Sie wird als PDS-Chefin in Berlin nur bestehen, wenn sie bleibt wie sie ist: ruhig, vertrauenswürdig, uneitel. Gabi Zimmer eben. Genau so ist auch die wichtigste Rede in ihrem Leben. Am frühen Sonnabendnachmittag sind die Augen der Delegierten sowie unzählige Kameras auf die kleine, zierliche Frau gerichtet. Die PDS steckt in der Krise und hat die Hosen voll. Die Partei hat Angst, dass sie in Cottbus das Gespenst von Münster wieder heimsucht. Auf dem letzten Parteitag hatte die Parteiführung eine schwere Niederlage einstecken müssen und prompt hieß es überall, die Genossen seien eben doch nur ein Haufen unverbesserlicher Dogmatiker.

Gabi Zimmer trägt schwer an dieser Last, als sie aufs Podium geht. Sie ist blass. Das Einzige, was leuchtet, sind ihre roten Haare und das orangene Kostüm. Gleich zu Beginn ihrer Rede gesteht sie ihre Zweifel ein, „alle Erwartungen an meine Rede“ erfüllen zu können. Aber dann legt sie los, und je länger sie redet, desto mehr überzeugt sie sich von sich selbst. Die Zuhörer spüren das. Als Zimmer davon spricht, dass die PDS, wenn sie über Mehrheiten in der Gesellschaft spreche, auch über die Zusammenarbeit mit anderen Parteien reden müsse, gibt es das erste Mal Beifall.

Selbst Sahra schunkelt

Gabi Zimmer weiß, was von ihr als zukünftiger Parteichefin erwartet wird. Sie fordert von ihrer Partei, sich deutlich zum Reformkurs zu bekennen, sie spricht sich eindeutig für Bündnisse mit der SPD aus – und sagt zugleich, dass die PDS gesellschaftliche Opposition bleibe. Zimmer greift die Kommunisten und Marxisten in der Partei ungewöhnlich scharf an – und lädt sie gleichzeitig zur Mitarbeit ein („Sagt klar, was ihr wollt.“). Die künftige Parteichefin kritisiert den unbefriedigenden Stand der Programmdebatte in der PDS – und liefert dann selbst nur nichts sagende programmatische Stichworte. Es ist eine typische Parteivorsitzendenrede: Zwei Schritte vorwärts, mindestens eineinhalb zurück. Aber das ist in der jetzigen Situation der PDS nicht wenig. Am Ende jubeln ihr die Parteitagsdelegierten zu.

Gabi Zimmer will die Partei führen, das freut die Basis. Nach der Rede wird sie mit 93,2 Prozent zur PDS-Chefin gewählt. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die meisten Genossen sie als eine von ihnen empfinden, als eine, die so ist wie sie. Nach dieser Wahl läuft der Parteitag so geschmiert, wie es kaum einer in der PDS-Spitze erwartet hat: Ein Aufstand der Sektierer vom Hamburger Landesverband? Ausgefallen. Ein Auseinanderpflücken des Leitantrages, der der SPD in den Ländern zum ersten Mal konkret eine Zusammenarbeit anbietet, durch marxistische Dogmatiker? Findet nicht statt. Die Reformer siegen sogar bei den Wahlen des Parteivorstandes fast auf der ganzen Linie.

Zimmer, Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und Fraktionschef Roland Claus kommen aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus. Die neue Troika der PDS hat sich formiert, die Genossen haben sich wieder lieb. Die neue Parteiführung will das aller Welt zeigen. Zum Abschluss persifliert sie am Sonntagnachmittag einen Westschlager aus den 60er-Jahren und krächzt: „Für Gabi tun wir alles.“ Hinterher wollen einige beobachtet haben, dass sogar die sonst so strenge Sahra Wagenknecht mitgeschunkelt hat. Die Kommunisten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

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