: Grüße von der Nordsee
Die taz führt an die wahrhaft bösen Orte dieser Stadt. Teil 11: Die unbedachten St. Pauli-Landungsbrücken ■ Von Gernot Knödler
Wenn die ersten Herbststürme über die Elbe fegen, freut sich die Hamburg-TouristIn. Dann braucht sie nicht den weiten Weg bis an die Nordsee zu fahren. Es reicht, wenn sie die paar Stufen vom Hotel auf der Reeperbahn zu den St. Pauli-Landungsbrücken hinabsteigt, um herauszufinden, warum Seeleute eigentlich Ölzeug und Südwester brauchen.
Waagerecht fliegen die Regentropfen heran. Jede Bö treibt eine Breitseite vor sich her. Selbst ein harmloser Nieselregen durchnässt Jeans und Pullover in wenigen Minuten so, dass sie am Leib kleben und der peinliche Eindruck entsteht, die Trägerin lege Wert darauf einen „Miss Wet T-Shirt“-Wettbewerb zu gewinnen.
Die Landungsbrücken – ihre Pontons ebenso wie die zierlich überdachten Stege – verzichten auf alles, was vor der Unbill der Witterung Schutz bieten könnte. Die Geländer kämmen den Wind allenfalls sacht. Kein Quadratzentimeter Plexiglas verzerrt die Sicht auf dümpelnde Barkassen. Keine Planke hemmt die scharfe Brise.
Die im Original in den 50er Jahren erdachten nagelneuen „Flugdächer“ am Ende der Stege schweben in solch luftiger Höhe, dass der Regen stets den Steg unter Wasser setzt, außer er fällt genau senkrecht von oben. Hier schon wären Gummistiefel unerlässlich, wenn nicht die Ritzen zwischen den Planken wären – ein grober Konstruktionsfehler.
Als fragwürdig dürfen auch die Glasflächen gelten, aus denen die Flugdächer in Zukunft bestehen werden. Nur bei Flaute wird der Regen malerisch aufs Glas prasseln, jeder scharfe Wind weht ihn darüber hinweg. Aber bei Flaute tummeln sich auf den Landungsbrücken nur Weicheier, die sich vor dem Unwetter in den Fritten- und Fischbrötchen-Buden verstecken.
Für alle anderen lässt die Hansestadt 30 Millionen Mark springen, um damit die Anlage zu renovieren. Schließlich sollen die TouristInnen in Hamburg Geld ausgeben und nicht in Cuxhaven. Matjes im Sturm und Grog bei Windstärke neun – davon kann manch braver Mann sein Auskommen fristen.
Der Phantasie, aus der dankenswerten Initiative des Senats ein Vermögen zu machen, sind keine Grenzen gesetzt: Bisher hat niemand versucht, Ölzeug auf den Landungsbrücken zu verhökern. Rettungsringe, Schwimmwesten, Schlauchboote, Notsender und GPS-Empfänger – auf schwankenden Pontons, wenn die Elbe in Wallung geraten ist und der kalte Nordwest weht, ließe sich all das problemlos an durchnässte BesucherInnen bringen.
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