Das Salz auf unseren Kleidern

Die Ausstellung „Cross female“ im Berliner Künstlerhaus Bethanien fragt nach der Zukunft der feministischen Kunst

Fingernägel, lang gewachsen und in Formen geschnitten wie die Hieb- und Stichwaffen des Mittelalters: Würde man mit diesen Spitzen und Dornen zu kämpfen versuchen, sie brächen wohl gleich ab. Der Körperschmuck, den Natacha Lesueur in ihrer Fotoarbeit zeigt, suggeriert zwar Aggressivität und Wehrhaftigkeit und macht seine Trägerin doch unfähig, sich auch nur die Schnürsenkel selbst zuzubinden. Das Tragen von Zeichen hat seinen Preis.

Auf der Ebene der Zeichen steht den Körpern heute ein vielfältiges Repertoire zur Verfügung, um mit den geschlechtlichen Identitäten zu spielen und sozial gezogene Grenzen zu überschreiten. Doch ob dies Versprechen des gender switching mehr ist als eine Pose, die das Beibehalten der tradierten Rollenmuster beschönigt, ist die große Frage. Der Zweifel an der Lebbarkeit von wechselnden Identitäten und gewählten Positionen im Spektrum zwischen weiblich und männlich ist der Ausgangspunkt der Ausstellung „Cross female“. In ihr haben die beiden jungen Kunsthistorikerinnen Barbara Höffer und Valeria Schulte-Fischedick noch einmal künstlerische Positionen versammelt, die Weiblichkeit als Produkt von Geschichte und Gesellschaft beschreiben. „Cross female“ im Berliner Künstlerhaus Bethanien will mit den Mitteln der Kunst über die Tricks einer Wirklichkeit aufklären, die sich der Künste und ihrer Fantasien des gender crossing aber längst schon bedient, um ihre Konzepte käuflicher und konsumierbarer Identitäten aufzuladen.

Doch so deutlich der Wille zur Subversion und zum Unterlaufen von Klischees in den künstlerischen Positionen auch spürbar wird, er ist doch selten dem raffinierten Geflecht aus Schein und Sein seiner industriellen Gegenspieler gewachsen. Die Cover der Zeitschrift regina beispielsweise, in der die Künstlerin Regina Möller die Rubriken populärer Frauenzeitschriften gegen den Strich kämmen will, gleichen ihrem Angriffsziel aufs Haar. Am geschicktesten arbeitet sich noch Alba D’Urbano aus Italien an den öffentlichkeitswirksamen Kampagnen der Mode ab. Sie hat Stoffe mit den Fotografien nackter Körper bedruckt, die zu vielfältigen Modellkleidern verarbeitet wurden und dann in Modenschauen, Plakaten und Schaufenstern den Distributionsweg der Mode durchliefen. Aber fast niemand, der um ihre Herkunft aus dem Kunstkontext nicht weiß, wundert sich noch groß über diese nach außen gekehrte Nacktheit auf den Plakaten an Berliner Bushaltestellen. Die Camouflage droht an ihrer eigenen Perfektion zu scheitern.

Reicht es, einen gynäkologischen Stuhl mit Moos zu überziehen, um „auf die lange Geschichte konstruierter Frauenkrankheiten wie Hysterie, Anorexie etc.“ zu verweisen? Das Objekt der slowakischen Künstlerin Ilona Németh allein wird den Zweifel an den medizinhistorischen Wahrheiten nur bei dem bestätigen, der sie ohnehin schon hegte.

Schon seit vierzig Jahren beschäftigt sich die Kunst mit der sozialen und ästhetischen Definition der Geschlechterrollen. Die technischen Möglichkeiten, Bilder, Körper und Identitäten zu manipulieren, sind seitdem auf allen Ebenen gewachsen. Die beiden Kuratorinnen wollten die Geschichte der feministischen Kunst weiterverfolgen in eine Zeit hinein, die im virtuellen Raum angeblich neue Instrumente der Emanzipation zur Verfügung stellt. Aber der Sprung in die High-Tech-Welten ist nicht besonders benutzerfreundlich ausgefallen. Jenny Althoffs Materialsammlung zur Rezeption von Lara Croft oder Cornelia Sollfranks Interview mit einer Hackerin setzen zwar an spektakulären Themen an, ohne aber inhaltlich viel Neues zu entdecken.

So bleiben oft die Werke am anziehendsten, die eine haptische Materialsprache mitbringen: das Abendkleid, das die Schweizerin Maya Rikli aus Babyfotos aus Zeitschriften collagiert hat; die mit dünnen Fäden gestickten Zeichnungen von Ghada Amer. Im Spiel der Projektionen, die immer mehr Oberfläche verschlingen und immer tiefer unter die Haut dringen, wirken diese Objekte wie Stopper. Irgendwann geben sich die weiß verkrusteten und eiskalt strahlenden Objekte der Schwedin Asa Elzén als Kleider, Slips und Korsagen zu erkennen, die in Salz erstarrt sind. Bis dahin aber halten sie das Verschwinden des Körpers hinter den Bildern an und blenden sich mit ihren altertümlichen Techniken zurück in eine Kulturgeschichte, in der die Konturen der Dinge noch härter waren. KATRIN BETTINA MÜLLER

„Cross Female“, bis 29. 10., Künstlerhaus Bethanien, Berlin