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„Hollywood braucht mich einfach“

Don’t try this at home: Jackie Chan, der Buster Keaton des Action-Kinos, erkämpft sich in „Shang-High Noon“ den Wilden Westen. Der Star aus Hongkong über seine Kino-Initiation, den Drill an den klassischen Peking-Oper-Akademien und den Unterschied zwischen amerikanischen und asiatischen Stunts

taz: Herr Chan, im Laufe Ihrer Karriere haben Sie sich bei Ihren waghalsigen Stuntszenen schon fast jeden Knochen im Körper gebrochen. Welche Verletzungen haben Sie sich bei den Dreharbeiten für ihren Film „Shang-High Noon“ zugezogen?

Jackie Chan: Oh, glücklicherweise habe ich mir dieses Mal keine Knochen gebrochen. Das einzig wirklich Schmerzhafte war die Haarverlängerung.

Der traditionelle Zopf, den Sie als Untertan des chinesischen Kaisers tragen . . .

Die ersten vier, fünf Tage konnte ich nicht schlafen, ich konnte meine Haare nicht waschen, und sogar das Kämpfen hat sehr wehgetan – jedes Mal, wenn ich mich schnell bewegte, fühlte sich das an, als würde jemand an meinen Haaren ziehen. Und das für sechs Monate!

Und was mussten Sie noch über sich ergehen lassen?

Ich habe gelernt, Pferde zu reiten – vor diesen Tieren hatte ich früher Angst. Als ich noch jung war, als Stuntman in Hongkong, da habe ich so viele Kollegen mit gebrochenen Armen und Beinen vom Pferdereiten gesehen, das hat mich abgeschreckt. Aber vor dem Film hatte ich zwei Monate Zeit, mich an die Pferde zu gewöhnen. Ich habe zu ihnen gesprochen: Hallo Pferd, ich bin Jackie Chan.

Der Wilde Westen, wo die Handlung von „Shang-High Noon“ angesiedelt ist, hat es Ihnen schon früh angetan, wie man auf alten Familienfotos sehen kann. Woher rührt diese Faszination?

Als ich jung war, liebte ich Filme mit Cowboys und Indianern – egal, welche. John Wayne war der erste englische Name, den ich mir gemerkt habe, später natürlich Clint Eastwood und Kirk Douglas.

Wo haben Sie diese Filme gesehen? Sie waren doch als Kind auf einer dieser strengen Peking-Oper-Akademien fast wie in einer Kaserne interniert.

Als ich auf der Peking-Oper-Schule war, hatten wir jeden Tag Auftritte in einem Themenpark, wo wir unsere akrobatische Artistik vorgeführt haben. Das war keiner dieser Themenparks, wie man sie heute kennt – ohne die heutige Technologie, sondern eher traditionell: eine Art billiges Hongkong-Disneyland.

Manchmal, in den Pausen, sind wir in eines der vielen Kinos in der Umgebung gegangen. Dort habe ich viele Cowboyfilme gesehen – aber nie den ganzen Film. Wir mussten mittendrin zurück, sonst hätte uns der Meister bestraft. Einmal aber habe ich einen Film gesehen, aus dem ich nicht rechtzeitig rausgegangen bin, weil er mich so in seinen Bann zog, dass ich komplett die Zeit vergaß. Wissen Sie, welcher Film das war? Das Musical „The Sound of Music“. Ich habe sogar geweint, als ich ihn gesehen habe.

Natürlich wurde ich anschließend bestraft. Doch von da an bin ich jedes Mal, wenn ich in den Trainingspausen Zeit hatte, ins Kino gerannt. Der Film lief eine ganze Weile, und ich bin immer wieder hingegangen.

Ein Wunder, dass Sie da noch kein Musical gedreht haben . . .

Ich liebe Musicals und Filme wie „Saturday Night Fever“, wow – aber ich verstehe nichts davon. Ich kann zwar singen, aber ich weiß nicht, wie man so was dreht: Mir fehlen die Grundlagen, das Wissen um Tanz und Songs. Also muss ich warten, bis ein Regisseur ein Musical für mich schreibt. Für meine Action-Filme dagegen schreibe ich meine Scripts selbst.

Platten haben Sie, wie fast jeder Schauspieler in Hongkong, aber schon aufgenommen . . .

Ja, einige sogar. Meine erfolgreichste Platte hat sich in Japan und Taiwan mehr als eine Million Mal verkauft, glaube ich. Der Song ist auch in China sehr populär – mehr als 1,2 Millionen Menschen können ihn singen!

Eines Ihrer Markenzeichen ist, neben den garantiert echten Stunts, der Abspann Ihrer Filme: Dort dokumentieren Sie stets die schönsten Pannen, die Ihnen bei den Dreharbeiten unterlaufen sind . . .

Ich führe oft selbst Regie und bin auch meist am Schnitt beteiligt. Bei dieser Arbeit musste ich oft über die misslungenen Szenen lächeln, über den Outtake. Das wollte ich den Fans nicht vorenthalten. Also habe ich die besten Szenen ans Ende des Films gehängt, an den Abspann.

Ich erinnere mich noch genau, wie das Publikum zuerst darauf reagierte. Weil ich damals mit im Kino saß, konnte ich das gut beobachten. Zunächst waren die Leute irritiert, sind dann zurückgerannt und haben sich wieder hingesetzt, um die Szenen zu sehen. Manche Leute haben sie aber trotzdem verpasst und sind eigens deswegen noch einmal ins Kino gegangen.

Von diesem Moment an habe ich diese Idee beibehalten. Jetzt ist das schon zur Tradition geworden, ein Teil des typischen Jackie-Chan-Styles. Wenn sich die Leute heute meine Filme anschauen, dann stehen sie nie auf, bevor der Vorhang fällt.

Dass Sie ihre Drehfehler so öffentlich ausstellen, scheint mir ein typischer Zug zu sein. Auch die Helden, die Sie spielen, sind selten perfekt – sie zeigen auch Schwächen.

Viele Kinder sehen in mir ein Vorbild. Also muss ich ihnen sagen: Macht das nicht zu Hause! Ich will ihnen zeigen, dass ich kein Supermann bin, sondern ein normaler Mensch.

Wenn ich einen Film mache, dann möchte ich auch eine Botschaft vermitteln. Am Abspann kann man sehen, dass ich bestimmte Szenen wieder und wieder wiederholt habe, bis sie richtig sitzen. Das soll gerade den Kindern sagen: Alles kann mal schief gehen. Aber wenn man oft genug übt, kann man Erfolg haben. Das ist auch eine Form der Erziehung.

Ihre eigene Erziehung war ja sehr speziell . . .

Stimmt (lacht)

Heutzutage ist ein solcher Drill, wie er in den klassischen Kung-Fu-Akademien herrschte, kaum noch vorstellbar . . .

Dann wirst du verklagt. Für solche körperliche Züchtigung wird man heute verklagt, selbst von den eigenen Kindern!

Eine ganze Generation von Stuntleuten in Hongkong entsprang aber dieser Ausbildung. Nun gibt es diese Schulen nicht mehr. Ist es heute deswegen schwieriger, fähigen Nachwuchs zu finden?

Nein, denn es gibt so viele, die in mein Team wollen. Manche nehme ich auf und bilde sie aus – aber wenn ich nach einem Monat sehe, dass sie nicht die erwünschten Fortschritte machen, dann sage ich ihnen auch: Geh! Verschwende nicht deine Zeit. Du bist nicht der richtige Typ für diesen Job.

Denn wenn du ein guter Stuntman sein willst, dann musst du einen langen Weg zurücklegen, bis du vom Stuntman zum Stunt-Koordinator, zum Stunt-Regisseur aufsteigst. Man braucht Erfahrung. Ich mache viele verrückte Sachen, und natürlich verletzt sich auch oft jemand. Aber niemand gefährdet dabei sein Leben. Wenn man sich dagegen amerikanische Stunts ansieht – da kommt öfters jemand um. Sie haben einen völlig anderen Ansatz: Sie machen große Stunts . . .

. . . mit Massen-Karambolagen und Mega-Explosionen . . .

. . . und wir machen eher kleine Stunts. Aber diese kleinen Stunts sind viel schwieriger als diese großen, es liegt viel mehr Technik im Detail: Taktaktak (macht typische Handbewegung).

Wie ist es für Sie, in den USA zu drehen? Früher sollen Sie sich beklagt haben, die amerikanischen Stuntmänner seien viel zu langsam für Sie . . .

Wo immer ich hingehe, nehme ich heute mein eigenes Stuntteam mit, das J.C.-Team. Sie sind seit fünfzehn Jahren bei mir und wissen, was ich tue. Das ist nicht wie die früheren Male, als ich ganz alleine nach Amerika kam.

„Shang-High Noon“ erzählt ja auch ein bisschen Ihre Geschichte: ein Außenseiter aus Asien, der sich nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten in der Neuen Welt behauptet. Als Sie in den 80ern zum ersten Mal versuchten, in den USA Fuß zu fassen, war das ja eher von Pleiten gekrönt . . .

Ja, das war schwierig. Ich kam ganz alleine, ich sprach kein Englisch, und man hat mir nicht zugehört. Die haben auch die falschen Leute ausgewählt, um mit mir zu kämpfen. Der Stunt-Koordinator wollte mir beibringen, wie man schlägt. Aber wie soll er das, wenn er den Job seit gerade mal zwei Jahren macht? Ich hätte das ablehnen sollen, aber ich hatte nicht den Mut, zu sagen: Nein, diese Leute sind ungeeignet.

Warum ?

Was konnte ich schon machen: Es gibt Gewerkschaften, Verträge – man kann Mitarbeiter nicht einfach so ablehnen. Selbst wenn sie falsche Entscheidungen getroffen haben, war ich doch verpflichtet, ihren Anweisungen zu folgen. Man muss sich an die Regeln halten.

Deswegen waren diese Filme alles Misserfolge – und deswegen bin ich zurück nach Asien und habe weiter dort meine Filme gedreht. Heute hingegen ist es nicht mehr so, dass ich nach Hollywood gehe – heute kommt Hollywood zu mir. Sie brauchen mich einfach. Das ist eine völlig andere Ausgangslage. Heute hört man mir zu.

Ich habe mein eigenes Team, meine eigene Produktionsfirma, und ich kann Bedingungen stellen: Wenn ich einen Film drehe, dann ohne F-Worte, ohne schmutzige Witze und ohne Sexszenen. Mit meinem eigenen Stuntteam. Und wenn sie nicht einverstanden sind, dann mache ich eben weiter meine Filme in Asien. INTERVIEW: DANIEL BAX

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