: Weiße Meldungen für Weiße
Nie war es einfacher, Nachrichten sekundenschnell um den Globus zu schicken. Dennoch werden viele Weltgegenden in unseren Medien ausgeblendet. Die taz stemmt sich gegen Blindheit und Faulheit
Die Welt wird immer kleiner. Geografische Entfernung verliert ihre Bedeutung angesichts der Globalisierung. Nicht nur kann man immer einfacher innerhalb eines Tages in jedes Land der Erde reisen, sondern es können auch innerhalb weniger Sekunden Nachrichten von einem Ende der Welt an das andere übermittelt werden. Für Medien heißt das, dass bei der Verfertigung von Nachrichten räumliche Distanz bedeutunglos wird.
Die Welt wird immer größer. Unter der Oberfläche der wirtschaftlich bedingten Annäherung von Kontinenten, Kulturen und Gesellschaften finden gesellschaftliche Mutationen und Ausdifferenzierungsprozesse statt, die immer unübersichtlicher werden. Milliarden von Menschen erleben die Welt völlig anders als die globalisierte Informationselite, aber wahrgenommen werden ihre Erfahrungen und Lebenswelten nicht.
Die räumliche Distanz schwindet, die mentale Distanz wächst. Noch nie war es so verlockend einfach für Journalisten, Weltnachrichten zu produzieren – und noch nie war das Risiko so groß, damit die realen gesellschaftlichen Entwicklungen zu verpassen. Dass internationale Nachrichten sich vorrangig mit Diplomaten und Präsidenten befassen, ist nicht neu. Früher war es schwer, in entlegenen Weltregionen über diese wenigen Akteure hinaus etwas wahrzunehmen. Das gilt heute nicht mehr, aber die internationale Medienwelt hat darauf nicht reagiert.
Stattdessen wird der Stellenwert einer qualifizierten Auslandsberichterstattung, die über Pflichttermine und Katastrophenmeldungen hinausgeht, immer geringer. Mit dem empirisch nie bewiesenen Argument, Auslandsthemen interessierten niemanden, werden hintergründige Recherchen, Sozialreportagen und tiefgründige Konfliktanalysen immer mehr an den Rand gedrängt. Über welche fernen Länder und Krisen hier überhaupt berichtet wird, entscheidet das Vorhandensein emotional aufrüttelnder Bilder. Und natürlich die Verwicklung von Weißen.
Als auf den Philippinen deutsche Geiseln festgehalten wurden, stand der Inselstaat plötzlich im Zentrum des Medieninteresses. Jeder Leidensseufzer der Gefangenen ging um die Welt. Als sie freikamen, war Schluss. Die seitherige blutige Offensive des philippinischen Militärs und die Zuspitzung der politischen Krise des Landes finden unter weitgehendem Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt.
Endemische Krisengebiete wie die Kernregion Afrikas, die sich von Angola über Kongo bis nach Sudan über ein Warlord-Territorium zum nächsten zieht, werden noch nachlässiger behandelt. Da blickt sowieso kein Mensch durch, da kann man sowieso nichts machen, wozu also soll man berichten, lautet die ungeschriebene Leitlinie der meisten Medien. Gebrochen wird sie nur, wenn es nicht zu anstrengend ist. Weil landesunkundige Journalisten am einfachsten im Tross von Hilfsorganisationen reisen, gehen sie auch nur dorthin, wo Hilfe geleistet wird, obwohl es politisch gesehen dringender wäre, über Gebiete aufzuklären, wo die Bevölkerung mittel- und schutzlos ist.
Diese beschränkte Wahrnehmung wird gefördert durch eine regelrechte Zensur seitens der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen. Während die großen internationalen Agenturen in ihren englisch- oder französischsprachigen Originaldiensten durchaus kontinuierlich über die meisten Länder der Welt berichten, streichen die deutschsprachigen Übersetzungen, die über Ticker die Medien erreichen, diese Meldungen fast komplett heraus. Das gilt selbst für positive Nachrichten. Als zum Beispiel letzte Woche endlich eine weithin anerkannte Regierung in Somalia installiert wurde, wo es seit zehn Jahren kein Staatswesen mehr gibt, beschränkten sich die deutschsprachigen Agenturdienste auf die Meldung „Somalia/Gewalt: Überfall bei Rückkehr somalischer Abgeordneter nach Mogadischu“.
Diese Mischung von Blindheit und Faulheit zu durchbrechen, muss Aufgabe einer Zeitung sein, die sich einst das Aufdecken unterdrückter Nachrichten auf die Fahnen schrieb. So schwer ist das nicht. Vor hundert Jahren musste der britische Kampagnenführer gegen den Völkermord der belgischen Kolonisatoren im Kongo, Edmund Morel, sich noch auf unter hohem Risiko recherchierte und per Schiff überbrachte Reiseberichte aus Afrika verlassen, um die Welt aufzurütteln. Heute, da im Kongo „Afrikas Erster Weltkrieg“ tobt und die Sterberate unter der Bevölkerung so hoch ist wie zu schlimmsten Zeiten der belgischen Raubzüge, gibt es ein dichtes Netz einheimischer Journalisten, zivilgesellschaftlicher Organisationen, hin und her reisender Politiker und Beobachter, die viel genauer und aktueller berichten können, oft einfach per Mausklick. Ähnliches gilt für die vielen anderen vergessenen und verdrängten Konfliktzonen der Welt. Auch für die brodelnden Metropolen Asiens und Lateinamerikas, deren Stimmungslagen sich ausländischen Korrespondenten oft nur sehr zögerlich erschließen.
Würden andere deutsche Medien sich dieser Mühe ebenso systematisch unterziehen wie die taz, verlöre diese Zeitung ein Stück Exklusivität. Es liegt am Standpunkt des Betrachters, ob eine solche Entwicklung zu begrüßen oder zu betrauern wäre.
DOMINIC JOHNSON
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