: „I'm a sailor and a whore...“
■ Fluchten aus der größten griechischen Community außerhalb Griechenlands: „Head On“ der Australierin Ana Kokkinos
Ari tanzt auf einer Hochzeit, genauso wie all die anderen griechischen Bekannten und Verwandten. Dem Brautpaar wird Glück gewünscht und Geld geschenkt, das Strumpfband der Braut fliegt in hohem Bogen unter die johlenden Junggesellen. Das alles ist zum Davonlaufen.
Ari läuft davon, vor dem Heiraten, vor den griechischen Traditionen seiner nach Australien migrierten Eltern, vor den Erwartungen an ihn, hinaus in die Nacht Melbournes und in den nächsten Morgen. Drogen, schnelle Musik und a-nonyme Blowjobs jagen den Puls hoch, betäuben, hinterlassen Leere.
„They say, believe in something, ... believe in familiy ... believe in love.“ - Familie? Liebe? An beides kann Ari nur schwer glauben: Sein Vater ist ein Patriarch, der ihm höchstens Anerkennung für einen gut getanzten Tsiftiteli zollt. Aber diese Augenblicke der Annäherung sind selten. Klar sorgt sich Ari um seine kleine Schwester, und seine Mutter will er nicht verletzen. Aber so leben wie sie?
Der gutaussehende Ari pendelt zwischen seiner griechischen Herkunft und seiner großstädtischen australischen Gegenwart, auf der Suche nach sich selbst, getrieben von dem unbändigen Drang nach Freiheit von der familiären, heterosexuellen Enge. Ari lebt sein Schwulsein in dunklen Ecken, hinter einer Bar, auf die Schnelle, und fürchtet, zu einer Existenz am sozialen Rand der griechischen MigrantInnen-Community verdammt zu werden. Welche Folgen es dort haben kann, offensiv mit seinem So-Sein umzugehen, muß er erleben, als sein Freund Johnny in Frauenkleidern zum Tanz erscheint. Mit Johnny, der provokant die Kleider und den Namen seiner Mutter trägt, redet Ari über die Liebe.
Mit Head On drehte Ana Kokkinos 1998 nach dem Kurzfilm Only The Brave (1994) ihren ersten langen Spielfilm. Letztes Jahr wurde er als bester Spielfilm des San Francisco International Film Festivals gefeiert und wird jetzt im Rahmen der Lesbisch-Schwulen Filmtage gezeigt. Der dichte, oft latent aggressive Film zieht die ZuschauerInnen in den Bann einer zugleich extremen und alltäglichen Geschichte über die Suche nach Liebe und Freiheit. Und insgeheim hofft man, dass Ari – mitreißend dargestellt von Alex Dimitriades, in Aus-tralien durch TV-Serien bekannt – am Ende dieser 24 Stunden dauernden Jagd nach Erlösung bei dem freundlichen Sean etwas von dem findet, wonach er so verzweifelt sucht. Der deutsche Titel der Romanvorlage von Christos Tsiolkas trifft Aris Lebensgefühl sehr genau: Unter Strom.
Ulrike Bendrat
heute, 22.30 Uhr, Studio, zusammen mit A Good Son Robert Little, USA 1998, 12 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen