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Preetz: Glücklicher Versager

Wieso dem Berliner Angreifer Michael Preetz eine prächtige Spielzeit bevorsteht und wie er die üblichen Stolperer beim 3:1-Sieg von Hertha BSC gegen Energie Cottbus souverän verarbeitet

aus Berlin MARKUS VÖLKER

Es gibt sie immer wieder, diese ärgerlichen Fehlleistungen. Niemand ist davor gefeit – vor allem nicht Personen, die vom öffentlichen Auge angeglotzt werden. Da verwechselt der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, im Fernsehen den afrikanischen Dialekt Kisuaheli mit Russisch, und im Radio stolpert die Bundestagsabgeordnete der PDS, Heidi Lippmann-Kasten, befragt, wie sie sich als Zugereiste in Berlin auskenne, über das Kürzel BE: „Berlin Express“ glaubt die Politikerin darin zu erkennen, und der Zuhörer ist schon froh, dass sie nicht Broteinheit assoziierte, denn immerhin verbirgt sich hinter dem Kryptonym das Berliner Ensemble. Naja, könnte man sagen, so was passiert eben. Mir. Dir. Und Fußballern auch. Was soll’s.

Michael Preetz ist immer ein Anwärter auf die schönsten Stolperer im Spiel. Da verhaspelt er sich beim übereifrigen Dribbling oder verdreht sich besonders linkisch im Strafraum. Die Tribüne stöhnt laut auf. In solchen Situationen regiert nur das Kurzzeit-, nicht aber das Langzeitgedächtnis. Preetz (33) hat ja immerhin 59 Bundesligatore geschossen und war Torschützenkönig der Liga.

Beim Spiel von Hertha BSC Berlin gegen Energie Cottbus war es wieder mal soweit. Preetz vergurgte, vergeigte, versemmelte. Zweimal kam der Ball vielversprechend von links in den Strafraum, kullerte direkt auf Preetz zu – und der hieb einfach drüber und vorbei. Der Schussimpuls, der ins Leere ging, verdrehte seinen Körper wie einen Korkenzieher. Das Besondere: Von derlei Pech lässt sich Preetz nicht verunsichern. Er probiert es weiter. Auch mit links. Also packte der Stürmer seine Wut in einen Schuss aus 20 Metern. Den vom Pfosten abprallenden Ball köpfelte Dariusz Wosz im Flug ein. Somit stand es in der 42. Minute 1:1. Der Cottbuser Antun Labak wusste 23 Minuten zuvor mit einem scharfen Fernschuss zwei Fehler Herthas auszunutzen. Zunächst sprang Dick van Burik der Ball in die falsche Richtung, dann verlegte sich Michael Hartmann in der Verteidigung darauf, Labak Geleitschutz zu geben, anstatt ihn zu tackeln.

„Die richtigen Aufgaben warten erst noch auf uns“, sagte Preetz nach dem Spiel. Er durfte in der zweiten Halbzeit die Erfahrung machen, dass Cottbus nicht mehr so recht mitkam, in der Abwehr teilweise dilettierte und im Sturm müde wurde. In den ersten Minuten noch waren Labak und Sebastian Helbig in den Strafraum der Herthaner gehirscht, als wollten sie alles überrennen, was sich ihnen in den Weg stellt. Gefüttert von langen Abschlägen des Keepers Tomislav Piplica liefen die Konter. Später, als die Seiten gewechselt, die Sonne im Olympiastadion tiefer stand und das Spiel 2:1, da durfte sogar Eyjölfur Sverrisson in den Sturm. Der Isländer, eigentlich in der Verteidigung bechäftigt, kann auch das. In Stuttgart noch spielte er ab und an auf der Position. Und prompt: Sverisson schoss das 3:1. „Es hat mich gefreut, vorn reinzugehen“, sagte er.

Michael Preetz schoss kein reguläres Tor. In der 32. Minute zappelte zwar das Netz, aber Preetz war vor seinem Volleyschuss der Ball blöd an die Hand gesprungen. Das sah wieder sehr ungelenk aus, machte aber angesichts seiner Saisonprognose nichts. Man befragte unlängst Berlins bekanntestes Orakel, die Wahrsagerin Mona Stein vom Prenzlauer Berg. Und sie wusste über den Löwen zu berichten: „Intelligent, ehrgeizig, zielbewusst. Sein Wort gilt. Er kommt in dieser Saison wieder groß raus.“

Auch Trainer Jürgen Röber ist davon überzeugt, zumal er auf Preetz nicht verzichten kann. Ali Daei ist in Iran zur WM-Qualifikation. Alex Alves, der gar nicht im Stadion weilte und dessen „kurze schnelle Bewegungen“ Röber vermisste, ist verletzt und Piotr Reiss nur ein Ergänzungsspieler im Angriff. „Heute ging es darum, die Sympathie zu gewinnen und sich oben festzusetzen“, erklärte Preetz. Hertha jedenfalls ist der beste Saisonstart seit 30 Jahren gelungen, alle Heimspiele wurden gewonnen, was als „Polster für die kommenden schweren Wochen“ (Manager Dieter Hoeneß) dienen soll.

„Es ist erst ein Viertel gespielt, noch ist alles möglich“, erkannte Hoeneß. Möglich ist immer auch der Fehler, einzukalkulieren das Versagen, zu rechnen mit der Schmach. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Preetz hat die Stolperer als seine angenommen und schießt wohl deshalb viele Tore. Ganz einfach.

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