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Betriebskrankenkasse Aldi

■ Viele Hamburger AOK-Versicherte wechseln zu „Billigkassen“

Der 30. September ist für die Krankenkassen alljährlich kein erfreulicher Tag: Denn zu diesem Datum darf jedeR seiner Kasse zum Jahresende kündigen. Das gehört zu den Spielregeln. In diesem Jahr aber spricht die AOK von einem „dramatischen Trend“, bei der billigen Betriebskrankenkasse (BKK) Mobil Oil blockieren die Anfragen die Telefonleitungen, und die Barmer prognistiziert Einnahmeverluste für ÄrztInnen, weil so viele PatientInnen zu den BKKs wechseln: Der Wettbewerb schlägt zu.

5.500 AOK Hamburg-Mitglieder haben jetzt gekündigt, 2000 mehr als 1999, sagt Sprecherin Ulrike Zeising. 88 Prozent – so eine Umfrage der AOK – gingen nur wegen des Beitrages von 14,1 Prozent, viele davon zur BKK Mobil Oil, die in Hamburg mit 11,2 Prozent die güns-tigste ist: Bei einem Bruttoeinkommen von 5000 Mark macht das monatlich 145 Mark Unterschied. Und: Es sind vor allem die jungen Gesunden, die wechseln.

„Das verzerrt das Solidarprinzip“, meint Zeising und sieht die Politik gefordert. Dem schließt sich auch die Barmer Ersatzkasse (13,9 Prozent) an – auch wenn hier die Anzahl der Kündigungen konstant blieb. Pressesprecher Peter Claußen warnt zudem vor einer anderen Folge: Einnahmeverluste für Hamburger ÄrztInnen. Denn erstens sitzen alle BKKs mit Beiträgen unter 12 Prozent außerhalb Hamburgs. Das heißt, sie zahlen ihre jährliche Kopfpauschale für jeden Versicherten an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) eines anderen Bundeslandes. Die Hamburger KV bekommt davon nur etwas – nicht alles – ab, wenn der Versicherte in dem Jahr auch tatsächlich zum Arzt geht.

Zweitens zahlen manche BKKs um die Hälfte niedrigere Kopfpauschalen als die Orts- und Ersatzkassen. In Berlin bekommen das Versicherte einer BKK bereits direkt zu spüren: Manche Ärzte behandeln dort diese PatientInnen gar nicht oder nur nach dem Motto: „Wer bei Aldi einkauft, muss eben etwas länger warten“ (Ärzte-Zeitung, 4.9.2000). Davon hätten auch Hamburger BKK-PatientInnen vereinzelt berichtet, sagt Claußen.

Für die Hamburger KV ist es „weit hergeholt“, dass BKK-PatientInnen hier schlechter behandelt werden sollen. Die meisten Ärzte wüssten ja gar nicht, welche Kasse wieviel zahlt, wendet Sprecher Stefan Möllers ein. Außerdem gebe es auch BKKs mit niedrigen Beitragssätzen, aber hohen Kopfpauschalen. Das Problem der Einnahmeverluste aber, stimmt er Claußen zu, das drohe tatsächlich, wenn sich der Trend zur Billig- und Auswärts-BKK verstärkt. Heike Dierbach

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