: Das Institut und sein nazitreuer General
Die dunkle Geschichte des Ibero-Amerikanischen Instituts in Berlin: Ein Forschungsprojekt untersucht zum 70. Geburtstag der größten europäischen Bibliothek für Lateinamerika deren kulturpolitischen Aufstieg von 1930 bis 1945 unter ihrem nazitreuen Präsidenten: Exgeneral Wilhelm Faupel
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Das Gedächtnis ist riesig. 817.000 Bücher, 66.000 Karten, 25.000 Tonträger, 300.000 Zeitungsartikel, eine Video- und Fotothek, Handschriften und Nachlässe von Wissenschaftlern sowie Reisenden umfasst die Sammlung des Ibero-Amerikanischen Instituts in Berlin. Als Anfang Oktober Fernando Henrique Cardoso die Bibliothek zu deren Geburtstag am Potsdamer Platz besuchte, war er nicht zum Lesen, sondern zum Feiern gekommen. Seit 70 Jahren, gratulierte der Präsident Brasiliens, bilde das Bibliotheksinstitut mit seinen Werken über Lateinamerika, Spanien und Portugal ein verbindendes Symbol zwischen Berlin und Südamerika. Der Bestand verkörpere die Gemeinsamkeiten und das Gedächtnis der kulturellen Beziehungen zwischen den Ländern – ein freundschaftlicher Gruß, den wohl jeder Präsident übermittelt hätte.
Das Selbstverständnis der größten europäischen Fachbibliothek für Lateinamerika als Mittler zwischen den Kulturen bringt nun ein Forschungsprojekt des Instituts ins Bröckeln. Die Anfänge des Ibero-Amerikanischen Instituts (IAI) von seiner Gründung 1930 bis 1945, an der die Direktoren seit 1946 ebensowenig interessiert schienen wie deren Vorgänger, haben vier Wissenschaftler des IAI zum Festtag als kleine Dokumentation im Katalogsaal der Bibliothek präsentiert. Sie wollten „das Interesse für die spannende Geschichte des Instituts in der NS-Zeit wecken“, wie Günter Vollmer, Projektleiter am IAI, erklärt.
Doch mehr noch kommt es dem Historiker Vollmer bei den Ausgrabungen der Vergangenheit auf etwas anderes an: Das Institut stellte nicht allein „eine Stätte der wissenschaftlichen Arbeit, der Forschung“ dar, die die „kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und den ibero-amerikanischen Ländern verstärken“ sollte, wie der Gründungdirektor Otto Boelitz es 1930 formulierte. Das IAI diente zugleich als kulturpolitisches Werkzeug des Nazi-Regimes. Die Protagonisten der Bibliothek verfolgten explizit ideologische, postkolonialistische und rassistische Interessen, um das NS- und Franco-Bild spanischer Herrschaftsansprüche gegenüber den lateinamerikanischen Völkern zu bekräftigen.
Schon die Gründung und Eröffnung des IAI im Marstallgebäude am Schlossplatz am 12. Oktober 1930, dem spanischen Feiertag Dia de la Raza („Tag der Rasse“), zielte auf eine „propagandistische Vermarktung“ von reaktionären kulturpolitischen Intentionen des Instituts, urteilt David Bartelt in der Schau. Zwar hatte 1927 der argentinische Jurist, Diplomat und Deutschlandfreund Ernesto Quesada seine 81.774 Bände umfassende Privatbibliothek dem Preußischen Staat mit der Auflage geschenkt, diese solle öffentlich zugänglich sein und das Verständnis für die kulturelle Vielfalt der lateinamerikanischen Völker fördern.
Den Namen „Lateinamerikanisches Institut“ lehnte Quesada aber ebenso ab wie seine deutschen Freunde; darunter der Philosoph Oswald Spengler. Mit dem adjektivischen Titel „ibero-amerikanisch“ sollte die spanische Geschichte, Kultur und ideologische Führung vor der traditionellen lateinamerikanischen festgeschrieben werden.
Endgültig auf die kulturpolitische Linie der braunen Machthaber brachte das Ibero-Amerikanische Institut die wohl schillerndste Figur in der Geschichte der Bibliothek: Wilhelm Faupel, General a. D. sowie Repräsentant des Nazi-Regimes und von 1934 bis 1945 Präsident der Bibliothek.
Der 1873 geborene Faupel war in der kaiserlichen Armee vom Soldat zum Offizier aufgestiegen, hatte sich 1900 an der Bekämpfung des „Boxeraufstandes“ in China, dann bei der Niederschlagung der afrikanischen Hereros beteiligt. In Deutsch-Südwestafrika stieg er in den Rang eines Hauptmanns der deutschen „Schutztruppe“ auf.
1910 war Faupel erstmals in Südamerika tätig: als miliärischer Berater des Deutschen Reiches zum Aufbau der argentinischen Armee. Nach dem Fronteinsatz in Frankreich 1914 bis 1918 zum General ernannt, gründete Faupel in den Anfängen der Weimarer Republik ein eigenes „Freikorps Faupel“ und machte „Jagd auf die Roten“ zur Niederschlagung der revolutionären Arbeiter in Schlesien. 1921 reiste Faupel erneut nach Argentinien als Militärberater und 1927 nach Peru als Generalinstrukteur der dortigen Armee. Als Faupel 1945 von der Bildfläche verschwand – er verübte gemeinsam mit seiner Frau Selbstmord, es existieren aber keine Sterbeurkunden –, wurde die Legende begründet, Faupel habe sich wie andere Nazis nach Argentinien abgesetzt.
Es sei nicht klar, so Günter Vollmer, wie und warum Faupel 1934 als Nachfolger von Boelitz in das Amt des IAI-Präsidenten gelangte. Wahrscheinlich beförderten ihn die guten südamerikanischen Kontakte und seine Beziehungen zu nationalsozialistischen Kulturgrößen, die Faupel als geeignetes Vehikel sahen, den Boden der faschistischen Ideologie in Lateinamerika zu bereiten.
Als erstklassiger wissenschaftlicher Bibliothekschef im Marstall verdingte sich Faupel nicht – ihm standen auch nur ein äußerst geringes Budget und eine Handvoll Bibliothekare zur Verfügung. Vielmehr betrachtete sich Faupel als Repräsentant ibero-amerikanischer Kultur in Deutschland und nutzte seine Stellung, um Kultur- und Außenpolitik im großen Stil zu unternehmen. Am IAI wurden Vorträge stramm rechter deutscher und ausländischer Wissenschaftler gehalten. Faupel reiste nach Spanien und Südamerika, posierte bei Militärparaden und auf Empfängen. Gleichzeitig gründete er zahllose Gesellschaften und Vereine zur Geldbeschaffung und Vernetzung deutsch-südamerikanischer Interessen.
Unter General a. D. Faupel wurde aber auch „der Kampf der hispanischen Nationen um Weltgeltung“ Thema im Institut. Nachdem Faupel ein glückloses Intermezzo als Botschafter bei Franco 1938 hinter sich gebracht hatte und nach seiner Rückkehr die Bibliothek 1941 in die Siemensvilla nach Lankwitz umgezogen war, wurde auch der Bestand durchforstet. Deutschfeindliche Texte wurden ausgemustert.
Faupel selbst, relativiert Vollmer dessen aufstrebende Vita, hielt bis zum Ende des Krieges an der Bedeutung des IAI fest „und vermittelte den Eindruck, dass in der großen Villa, versteckt hinter Bäumen, die Fäden der damaligen Lateinamerikapolitik zusammenliefen“. Die Realität sah anders aus angesichts mangelnder Finanzen und schwieriger werdender Beziehungen zu Lateinamerika. Das Institut trat gegen Ende des Krieges immer weniger in Erscheinung. 1945, nach Faupels Tod, wurde das Institut von den Allierten als Nazi-Institution geschlossen, dann als „Lateinamerikanische Bibliothek“ weitergeführt. Erst 1962, mit der Übernahme des Instituts durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wurde der alte Name Ibero-Amerikanisches Institut wieder eingeführt und 1977 die Sammlung aus Lankwitz in dem Neubau neben der Staatsbibliothek an der Potdamer Straße zugänglich gemacht.
Die Geschichte des IAI unter Wilhelm Faupel, so Vollmer, soll nicht allein in Zeiten des Jubiläums ein neues Licht auf die Entwicklung des Bibliotheksinstituts werfen. Die Dokumentation bilde nur den ersten Teil eines langfristigen Projekts, das die Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika zur NS-Zeit beleuchten soll.
Für das Haus selbst bedeutet die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit ein Schritt aus dem Bibliotheksimage heraus – hin zu einem mit neuer kulturpolitischer Bedeutung, so Vollmer. Zwar sieht der heutige Leiter des Instituts, Günther Maihold, die Bewahrung und Erweiterung des Buchbestandes als vordringliche Aufgabe des IAI, das vorwiegend von Studenten, Lehrern und Professoren, aber vermehrt auch von Personen lateinamerikanischer Botschaften frequentiert wird. Doch neben dieser klassischen Funktion als Bibliothek bilde das IAI ein Ort der Forschung und des kulturellen Austauschs zwischen Europa und Lateinamerika. Die Rolle der Bibliothek als Gedächtnis aus Büchern erfährt damit eine Erweiterung. Es ist die Arbeit an zukünftigen wissenschaftlichen Projekten ebenso wie die an der eigenen Geschichte, die dieses Gedächtnis immer mitgeprägt hat – wie die Zeit unter General a. D. Wilhelm Faupel.
Die Dokumentation ist noch bis zum Samstag im Ibero-Amerikanischen Institut, Potsdamer Straße 37, Berlin-Tiergarten zu sehen.
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