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Keine Wunder in Alices Welt

Die Frauen haben viel erreicht in den letzten 25 Jahren. Aber hinter all dem schönen Gerede von der Gleichberechtigung schlägt „das dunkle Herz der Männerherrschaft: Sexualgewalt“. Unbeirrt von postmodernen Differenztheorien will Alice Schwarzer immer noch gnadenlos aufklären

von HEIDE OESTREICH

Schluss mit dem Schwanzficken! Der wahre weibliche Orgasmus wohnt in der Klitoris. Der Mythos des vaginalen Orgasmus ist der Mythos des Patriarchats. Er soll Frauen abhängig halten vom Phallus und damit von der Anerkennung der Männer. Also weg damit, weg mit der Überbetonung des „kleinen Unterschieds“, so sprach Alice Schwarzer anno 1975 und wurde bald „Schwanz-ab-Schwarzer“ genannt.

Ein Vierteljahrhundert später ist die „Hexe“ und „Männerhasserin“ gern gesehener Talkshowgast, die Fernseh- und Familienfeministin wird gern zitiert zu Merkel, Löffler und Hillary Clinton und gern belächelt, wenn sie mal wieder eine Anti-Porno-Kampagne fährt, die nach Prüderie und Zensur riecht in diesen hyperliberalen Zeiten des universellen Achselzuckens.

Jetzt hat die Feminismus-Queen das Sackkleid, garantiert untailliert, gerafft und zum Rundumschlag ausgeholt: „Der große Unterschied“, leicht egomanisch als „erste politische Bestandsaufnahme seit 25 Jahren“ angekündigt. Es ist, trotz des verbindlichen, humorvollen Tones, das politische Bekenntnis einer Aufklärerin im postmodernen Dschungel – mit Erfolg: „Was sollen wir denn nun tun?“, fragte am Ende einer Lesung eine junge Frau. Alice, erklär uns die Welt, weise uns den Weg! O.k., Mädels, hier kommt Alice.

Zunächst noch auf Samtpfoten: Im Plauderton würdigt sie die Erfolge der Frauenbewegung inklusive ihrer eigenen und konzediert die Drei-Drittel-Gesellschaft der Männer: Ein Drittel ist bereit, Frauen als Gleiche, als Partnerinnen zu behandeln, ein Drittel „schlawinert sich so durch“, und ein Drittel bleibt als harter Kern des Patriarchats übrig. Da kann sich nun jeder einordnen, und Schwarzer hat ihr Image als Männerhasserin elegant entsorgt.

Doch was dann folgt, ist Alicesalte Welt. Die Samtpfote fährt die Krallen aus: Der Aufstieg der Frauen bringt uralte Geschlechtergewissheiten ins Wanken, verunsichert Männer und führt unweigerlich zur Abwehrschlacht, da sollen sich die frisch Emanzipierten nichts vormachen: „Highnoon im Geschlechterkampf“. Unter der Oberfläche der regierungsamtlich propagierten Gleichstellung schlägt laut Schwarzer nach wie vor „das dunkle Herz der Männerherrschaft: Sexualgewalt“. Ihr und allen ihren Ausprägungen widmet sie den Hauptteil des Buches, von der Gewaltanalyse leitet sie das Steckenbleiben der „Offensive der Frauen“ ab und die weiblichen Selbstverachtung, die solidarisches Handeln von Frauen verhindert.

Alice Schwarzer ist Egalitaristin, selbst den biologischen Geschlechtsunterschied nimmt sie kaum zur Kenntnis. Schließlich seien die männlichen Genitalien nichts anderes als nach außen gestülpte weibliche. Was nicht gleich ist, wird von ihr gleich gemacht. Die Gebärfähigkeit der Frau unterschlägt Schwarzer beiläufig: denn die moderne Reproduktionsmedizin mache das Gebären ohnehin bald überflüssig.

Ungleichheit der Geschlechter kann bei dieser Annahme nur durch eines entstehen: Gewalt, subtil oder brachial. Die subtile Variante heißt: Männer erkennen Frauen nur dann an, wenn sie die Frauenrolle erfüllen: dienen und unterstützen. Deren moderne Variante ist für Schwarzer die Barbie im Businesslook: Steh deinen Mann, aber bleib ganz Frau dabei, schön und stromlinienförmig. Wer im entscheidenden Augenblick nicht pariert, wird gemobbt.

Die sichtbarere Variante dekliniert Schwarzer in gewohnter Weise: Männer, die sich zu Hause trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse bedienen lassen. Männer, denen die sexuellen Wünsche ihrer Partnerinnen zu anstrengend werden und die sich die Bestätigung ihrer Männlichkeit lieber bei Porno und Prostituierten suchen. Männer, die den Liebesentzug ihrer Frauen nicht ertragen und gewalttätig werden. Und das alles unter dem ideologischen Schleier des Patriarchats: Nach wie vor sind Morde aus Frauenhass „Familiendramen“, während Morde aus Fremdenhass politische Morde sind, Morde mit System und Begründung, also ernst zu nehmen.

Frauen dürfen heute zwar im System der Männer mitspielen, aber die Männlichkeit in Frage stellen, das dürfen sie nicht. Wer nervt, fliegt raus. Und: „Die Mehrheit der Frauen hält sich an das Schweigegebot.“ Alice Schwarzer dagegen nervt nach wie vor mit Genuss. Und einer gehörigen Portion Ignoranz: Wer Mutterschaft, wer Differenz, wer eventuell sogar Pornos mag, ist in Alices Welt entschieden falsch. Alle stehen unter Kollaborationsverdacht. Ungläubig zitiert Schwarzer Studien, nach denen immer noch das „Schwanzficken“ die sexuelle Szene beherrscht. Könnte das bedeuten, dass Frauen einfach ungern auf eine volle Vagina verzichten? Dass das auch etwas mit weiblicher Lust zu tun hat? Nein, die einzig gültige Interpretation bei Alice Schwarzer heißt: weiblicher Masochismus.

Das ist kein Wunder: Schwarzer ist Aufklärerin geblieben, und ihr Begriff der Aufklärung stammt aus einer Zeit, bevor die Postmoderne das Differente, das Inkommensurable einklagte und begann mit den Grenzen zu spielen. Bei ihr schrillen die Alarmglocken, wenn Frauen es wagen, von der Lust an der Passivität zu sprechen oder sogar gerne Kinder erziehen.

Wie immer schließt Schwarzer alle aus, die sich arrangieren. Doch ist ihre unzeitgemäße Erinnerung an eine Struktur, die das postmoderne Spiel mit den Rollen unterläuft, notwendig. Wer sonst würde fragen, warum bei Gewaltpornos eigentlich so selten Männer zerstückelt werden?

Alice Schwarzer: „Der große Unterschied. Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000, 300 Seiten, 39,90 DM

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