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80 Zeilen Prinzenrolle

Eine Frau im selbst gewählten Exil an der Einflugschneise: Christine Bergers programmatischer Roman „34, Loser“

Meistens hängt Ursula in ihrer Wohnung rum. Die liegt in der Einflugschneise zum Flughafen Tegel, alle paar Minuten wackelt die Decke. Ab und zu geht sie schwimmen, ansonsten ernährt sie sich von Milch und Prinzenrolle. „So bleibt die Zeit nie stehen und dennoch trete ich auf der Stelle. Ich will mehr, weiß aber nicht den Ort, wo noch was zu holen ist. Das ist nicht nur mein Problem. Ich brauche nur mein Adressbuch aufzuschlagen – lauter verfrustete Mittdreißiger.“ Zur Aufmunterung hält sie sich an ihre beste Freundin Martha. Die wohnt nebenan und ist – wie die meisten in der Gegend – 81 Jahre alt.

Dass die Geschichte, die Christine Berger in ihrem Debütroman mit dem programmatischen Titel „34, Loser“ erzählt, nicht sonderlich originell ist, darauf kommt es gar nicht an. Sie bemüht sich tapfer um eine Beschreibung der inneren Welten von Menschen um die dreißig. Das gelingt ihr auch oft. Ihre Beschreibungen sind treffsicher, der Wiedererkennungsfaktor ist hoch. Die Biografie ihrer Heldin ist dafür repräsentativ genug: ein geisteswissenschaftliches Studium, weder abgebrochen noch zu Ende gebracht; ein öder Job in der Medienwelt. Davon gibt es viele, und Ursula sieht so aus, dass sie Knäckebrot und Klopapier betextet. Was manchmal nervt, ist Bergers Tendenz, zu kommentieren, was sie so anschaulich beschreiben hat.

„Ich habe keine Lust, in Zoes Wohnung zu warten und gehe einen Kaffee trinken. Ins ‚Obst und Gemüse‘. Läden sind als Namenspaten gerade schwer angesagt. In der Torstraße gab es mal einen Technoschuppen in einer alten Fleischerei, also hieß er ‚Fleischerei‘, und in Prenzlauer Berg ist eine Kneipe, die heißt ‚Glasgeschäft‘, weil da früher mal – na was schon? – war. Geschichtsbewusstsein lauert an vielen Ecken in dieser Stadt, leider meistens an den falschen.“ Da wäre es dann schöner, wenn sie ihre Beobachtungen einfach für sich stehen ließe.

Der Rückzug aus dem quirligen Leben in einen öden Vorort ist nicht Neues, seit die Protagonisten des Films „Generation X“ in einer desolaten Ferienhaussiedlung einen laxen Hausmeisterjob schoben. Trotzdem funktioniert der Kontrast zwischen den hippen Mitte-Bars – in die es Ursula doch hin und wieder verschlägt – und ihrem selbst gewählten Exil in der Einflugschneise, weil der Roman eine für Berlin ungewöhnliche Perspektive wählt. STEPHANIE GRIMM

Christine Berger: „34, Loser“. Ars Vivendi, Cadolzburg 2000, 148 S., 34 DM

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