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Post-Country-Kontemplationen

Auf dem Teppich bleiben: Mit „Präriepriester“ eröffnet Kampnagel seine Spielzeit  ■ Von Aljoscha Zinflou

In fast schon sicherer Distanz zum Aufsehen erregenden Spielzeitbeginn der hiesigen Staatstheater eröffnet Kampnagel seine Saison mit einem Gastspiel der Gruppe „Mass und Fieber“. Als Koproduktion mit dem Theaterhaus Gessnerallee Zürich und dem Schlachthaus Bern vielfach gespielt und medial bejubelt, nimmt die Produktion Präriepriester – eine Westernprojektion auf Kampnagel ihre vorerst letzte Station.

„Mass und Fieber“ wurde 1996 von Niklaus Helbling, vormals Dramaturg am Thalia Theater, und dem Musiker Martin Gantenbein ins Leben gerufen. Fabienne Hadorn spielte auch schon in Bambifikation, dem Stück, das der Gruppe den „Durchbruch“ zum Starensemble der gesamten deutschsprachigen freien Theaterszene brachte. Der Schauspieler Roeland Wiesnekker stieß mit der diesjährigen Produktion zu der Gruppe. Das dramaturgische Konzept für Präriepriester – eine Westernprojektion lieferten Niklaus Helbling, der die Regie führt, und die Autorin Brigitte Helbling. Markus Schönhölzer und Martin Gantenbein schrieben die insgesamt 13 Songs des Stücks. Abgesehen vom Ehepaar Helbling treten alle beteiligten Künstler in der Inszenierung auch auf.

Mindestens ebenso professionell wie die künstlerische Durchführung erscheint die Organisation und Konzeptionierung des Projekts, dem neben drei renommierten Häusern und Kulturstiftungen der beteiligten Städte auch einige private Sponsoren finanziell den Rücken stärken. Dem Label „Freie Gruppe“ ist insofern mit Vorsicht zu begegnen. Ausgangspunkt des „Wildwestfiebers“ ist ein Plot, der sich im privaten Alltag dreier Figuren entfaltet. „Mass und Fieber“ entlassen ihre Figuren in eine durch Versatzstücke des Wildwestmythos augeladene Imagination.

Mittels eines ärztlich verordneten Hometrainers reist der Werbetexter Jacques Rockford aus der Krise im Alltag zum Saloon „Alhambra“ in Tombstone City und in die Figuren seiner Imagination. Aus Songs, Videobildern, Schauspiel, Motiven aus Dreigroschenromanen und Comics zeichnen „Mass und Fieber“ ihr Bild der Revitalisierung und Rezeption des Mythos „Wild West“ auf wechselnden Stilebenen.

Präriepriester thematisiert so die Bedingungen der Populärkultur und deren Vermarktung von Mythen. Zugleich aber bedient sich das Stück der Projektionen seines Publikums rund um den Wilden Westen – und bewegt sich derart auf dem schmalen Grad zwischen Identifikation und Entfremdung: „Wenn man die Prärie sehen will, muss man sich auf den Teppich legen“, konstatiert Niklaus Helbling und fordert den Zuschauer heraus, sich erst einmal hinzusetzen. Genau dadurch aber läuft das Konzept von Präriepriester Gefahr, den Mechanismus zu nähren, den es vielleicht thematisiert und kritisiert.

Hier wird die Haltung der ZuschauerInnen zentral. Wenn diese sich tatsächlich „auf den Teppich legen“ müssen, um zu beobachten, wie andere die Stereotypen, Klischees und Versatzstücke des Genres für sie reanimieren, dann ist fraglich, ob sich ihr Rezeptionsverhalten auf Kampnagel vom Konsumverhalten zuhause – die Fernbedienung im Halfter – überhaupt noch unterscheidet. Wenn dagegen die Distanzierung gelingt, dürften „Mass und Fieber“ als Sheriffs in die wilde, freie Szene im nördlichen Westen einzementiert werden.

Zumindest werden die ZuschauerInnen anspruchsvolle Musik und überzeugendes Spiel erwarten können, wenn sie den Bodenbelag des K2 beschnuppern. Und auf jeden Fall wird eine ironische Dis-tanzierung vom Countrymythos dann im N + K „Klub des wilden Westens“ gewährleistet: Am Abend der Premiere wird Andreas Voss, der Bassist der Hamburger Band Fink dort seine Version von „Urban-Country“ als DJ zwischen all das Wildwestliche würfeln.

Premiere heute, 19.30 Uhr, N + K „Klub des wilden Westens“, heute, 22 Uhr; weitere Vorstellungen: 27. - 29.10., 1. - 4.11., jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel

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