Plastikstühle und Rauchverbot

Wahre Lokale (42): Frytkiduft und Zywiecdurst im Imbiss am Bahnhof Poznan in Polen

„24 h“ – wie Licht am Ende des Tunnels erscheint das Schild am Ende des Gleises 1 dem Reisenden, der in der Nacht im polnischen Bahnhof Poznan wartet. Die Bedienung trägt Kittelschürze, der Borschtsch kommt aus der Instant-Suppentüte direkt in den Styroporbecher, kostet aber auch nur rund eine Mark. Der Beuteltee im gleichen Becher ist für 75 Pfennig zu haben. Das verlockende Zywiec-Bier ist leider alkoholfrei – ein polnisches Gesetz verbietet den Verkauf von Alkoholika auf und neben Bahnhöfen. Hinter dem Tresen und den leeren Getränkekisten sind allerdings einige Sechserträger „Okocim“ gebunkert. Ob zum Eigenkonsum, für Stammgäste oder Freunde der Bedienung, bleibt bis zur Abfahrt eine offene Frage.

Drei polnische Jugendliche mit einem Haarschnitt, der 300 Kilometer westlich als Warnsignal für ihre Landsleute gelten würde, verzehren ihre Hamburger draußen vor der Tür. Ein Verstoß gegen das Rauchverbot wird streng geahndet, wie der erschöpfte Auslandsreisende erfahren muss: Auf einem klapprigen Plastiksitz am offenen Bahnsteig sitzend, hatte er versucht, den verpassten Eurocity nach Berlin mit einigen hastigen Zügen zu verarbeiten, da ertönte schon das laute Schimpfen eines Polizeioffiziers mit Walrossbart. Durch einen verzweifelten Ich-habe-den-Zug-verpasst-und-kaum-noch-Zloty-Blick des Rauchsünders erweicht, steckt er den gezückten Strafblock wieder ein und weist den Weg zur Raucherzone: Die wird zwanzig Meter weiter durch acht gleiche Plastiksitze gebildet, deren 2 x 5 Meter große Grundfläche mit weißen Streifen auf dem Asphalt begrenzt ist. Neben jugendlichen Europareisenden sind Bahnangestellte und Sicherheitsorgane die besten Kunden des Imbisses. Beim Warten auf den ersehnten Zug nach Lichtenberg lassen sie sich zunehmend besser unterscheiden: In blauem Hemd, blauer Hose und ebensolcher Uniformjacke zeigt sich die reguläre Polizei. Ein ähnlicher Farbton, jedoch kombiniert mit weißem Hemd oder Bluse, schmückt die Zugbegleiter.

In grau-grünlichem Kampfanzug mit weißem Schlagstock betreten die Männer des Bahnsicherheitsdienstes das wahre Lokal. Grüne Barette zieren das polnische BGS-Pendant, leicht zu erkennen an den lässig umgehängten Kleincomputern und Magnetkarten-Lesegeräten.

Langsam wird es kälter hinter den mit Coca-Cola-Aufklebern verzierten Einfachscheiben des Imbisses, die von innen wie weiße Wolken wirken. Zum Aufwärmen und Krafttanken eine Portion Frytki, deren Geruch für immer am Gast haften bleibt.

Eine Lautsprecherdurchsage weckt uns aus dem morgendlichen Dämmerschlaf. Ein letztes „Do Widzenia“ in Richtung der ebenfalls aus dem Schlummer erwachten Bedienung, schon sind wir am Zug. Vom Fenster grüßt das Schild „24 Stunden“ – so lange möchte man nicht hier verweilen. Aber es ist schön zu wissen, rund um die Uhr willkommen zu sein.

CLEMENS SCHÖLL