: Umverteilen zu den Ölmultis
Dank Ölpreisschock und hoher Zinsen: Die führenden deutschen Wirtschaftsforscher prognostizieren in ihrem Herbstgutachten ein abgebremstes Wachstum im nächsten Jahr. Damit es nicht noch schlechter wird, sollen die Beschäftigten sparen
von BEATE WILLMS
Einer konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht ganz verkneifen, als er gestern in Berlin gemeinsam mit seinen Kollegen aus den anderen führenden Wirtschaftsforschungsinstituten das traditionelle Herbstgutachten zur „Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft“ vorstellte. Und das, obwohl die Prognose der Konjunkturexperten nicht allzu erfreulich ausfiel: Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland wird im kommenden Jahr abflauen und von derzeit 3 Prozent auf nur noch 2,7 Prozent sinken.
Dass Gustav Adolf Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) trotzdem so gute Laune hatte, lag daran, dass die reale Entwicklung seine – von den anderen abweichende – Einschätzung vom Frühjahrsgutachten im April bestätigt hat. Dieses Mal hatten die Kollegen seine Mahnung ernster und deshalb auch als Mehrheitsmeinung in das Gutachten mit aufgenommen: Einer der Hauptgründe für das schwächere Wirtschaftswachstum ist die Zinserhöhungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die beiden anderen: der hohe Ölpreis und die nachlassende Konjunktur in den USA.
Den „Ölpreisschock“ hatte dabei niemand vorausgesehen. Kein Wunder, dass die Euphorie aus dem Frühjahr, als die Konjunkturforscher die Parole „es geht voran“ verkündet hatten, vorbei schien. Die höheren Ölpreise führen nicht nur zu höheren Verbraucherpreisen insgesamt und damit zu einer schwächeren privaten Nachfrage; sie werden auch Auswirkungen auf den Export haben, wenn die Nachfrage in den importierenden Ländern ebenfalls nachlässt – obwohl die Experten hier noch auf die positiven Effekte des schwachen Euro hofften.
Die Bundesregierung kann sich dagegen weitgehend entlastet sehen. Insbesondere die Steuerreform verschönere das Bild, erklärte Willi Leibfritz vom Münchner ifo-Institut: „Sie macht rund 0,5 Prozent des Zuwachses aus.“ Und den Ölpreisschock hätten Schröder und Co. auch nicht verhindern können.
Stattdessen sahen die mehrheitlich angebotsorientierten Konjunkturforscher die Gewerkschaften weiter in der Verantwortung. Sie sollten den „unvermeidlichen Realeinkommensverlust zugunsten der Öl exportierenden Länder“ hinnehmen, ohne zu versuchen, ihn durch höhere Lohnabschlüsse kompensieren zu wollen. Sonst drohe eine Lohn-Preis-Spirale. Dabei gaben die Experten zu, dass die Beschäftigten im vergangenen Jahr schon ihren Teil zur Verbesserung der Bedingungen für die Unternehmen beigetragen haben: Es gebe trotz sinkender Arbeitslosigkeit eine Tendenz zu „moderaten Lohnabschlüssen“ im Euroraum, heißt es im Gutachten – ein Anzeichen dafür, dass die „Arbeitsmärkte in Europa flexibler geworden“ sind.
Wenig Neues auch aus Ostdeutschland, wo das Wirtschaftswachstum das vierte Jahr in Folge hinter dem gesamtdeutschen zurückgeblieben ist. Die Produktion verharrt bei 61 Prozent des Standes in Westdeutschland. Auch vom Beschäftigungsaufbau profitiert der Osten kaum. Während die Arbeitslosenquote in den alten Ländern in diesem Jahr von 8,3 auf 7,5 Prozent und im kommenden sogar auf 6,8 Prozent sinken wird, steigt sie in den neuen zunächst sogar von 16,7 auf 17,1 Prozent. Diese Zunahme kommt nach Ansicht der Konjunkturexperten vor allem daher, dass die Bundesregierung arbeitmarktpolitische Maßnahmen drastisch eingeschränkt hat. Trotzdem setzen sie auch hier wieder auf angebotsseitige Lösungen: Der Aufholprozess könne nur in Gang kommen, wenn mögliche oder erwartete Produktionszuwächse nicht in höhere Löhne umgewandelt würden. Im Gegensatz zum Frühjahrsgutachten besannen sie sich aber zumindest bei den Möglichkeiten der Politik eines Besseren. Hatten sie im April noch darauf gesetzt, dass ein starkes allgemeines Wachstum den Osten schon mitziehen würde, forderten sie diesmal eine „erneute Infrastrukturoffensive“.
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