: Gestrenger Christdemokrat
Hollands früherer Ministerpräsident Ruud Lubbers wird neuer UN-Hochkommissar für Flüchtlinge
Eigentlich war Ruud Lubbers längst in Vergessenheit geraten. Nachdem Hollands Expremier 1994 bei seiner Kandidatur für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten am Widerstand Helmut Kohls gescheitert war und ein Jahr später zusehen musste, wie der Spanier Xavier Solana und nicht er zum Nato-Generalsekretär ernannt wurde, war es eher still geworden um den 61-jährigen Christdemokraten. Doch jetzt ist er aus der Versenkung aufgetaucht und von UN-Generalsekretär Kofi Annan zum UN-Hochkommissar für Flüchtlinge nominiert worden. Am 1. Januar 2001 wird er die Nachfolge Sadako Ogatas antreten. Derzeit lehrt Lubbers Globalisierung an den Unis Tilburg (Niederlande) und Harvard.
Überraschend kam Annans Vorstoß nicht nur für Lubbers selbst, sondern auch für die niederländische Regierung, die mit Umweltminister Jan Pronk, einem Sozialdemokraten, einen eigenen Kandidaten für den höchsten UNHCR-Posten nominiert hatte. Lubbers gehörte im Grunde nicht zum Kreis der Auserwählten. Ausgerechnet der Mann, der als Chef einer Mitte-rechts-Regierung ab Mitte der Achtzigerjahre im eigenen Land mit einem knallharten Sparkurs seine „No-Nonsense“-Politik umsetzte, soll jetzt Stütze und Tröster von Flüchtlingen werden.
Ruud Lubbers, 1939 in Rotterdam geboren, wuchs in einem katholischen Umfeld auf. Das hat seine politische Präferenz in einer Gesellschaft geprägt, die zu jener Zeit nach christlicher und sozialistischer Orientierung in weltanschauliche „Säulen“ gegliedert war. Lubbers studierte Betriebswirtschaft. Nach seiner Promotion 1962 holte ihn die Familie ins Management der Lubbers’schen Maschinenfabrik Hollandia.
Seine ersten Sporen in der Politik verdiente sich Lubbers ab 1964 in der katholischen Metallarbeitergewerkschaft. Von 1973 bis 1976 gehörte er als Wirtschaftsminister dem Kabinett des Sozialdemokraten Joop Den Uyl an. Seit 1978 an der Spitze der christdemokratischen Fraktion, wurde er 1982 Ministerpräsident. Und blieb es zwölf Jahre, zuletzt in einer Koalition mit der sozialdemokratischen Partei (PvdA) des heutigen Premiers Wim Kok.
Nach der verheerenden Wahlniederlage seines CDA im Jahre 1994 verschwand Ruud Lubbers aus der Politik. Die Früchte seiner rigiden Finanz-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik erntet seit sechs Jahren der Sozialdemokrat Wim Kok. Denn für Hollands beispiellosen Wirtschaftsboom, das „Poldermodell“, hat einer die Grundlagen gelegt, der zuletzt öffentlich nur noch als Präsident des World Wide Fund For Nature (WWF) agierte: Ruud Lubbers.
HENK RAIJER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen