: Wie ein Fels in der Brandung
Seit 30 Jahren empfängt das Forum-Hotel am Alexanderplatz Menschen aus allen Zeiten und Richtungen. Nach der Wende wurde es in der Lobby immer leerer, heute erfreuen sich schwedische Geschäftsleute an der „echt alt-kommunistischen“ Aura
von INGRID GEGNER
Die Drehtür am Fuße des Forum-Hotels ist mehr als eine Tür. Sie ist eine Bühne ewig rotierender kurioser Auftritte. Wie die Rotationsscheibe des Londoner Musical-Klassikers „Les Miserables“ wird sie von laufenden, schlendernden und rennenden Helden bevölkert. Still steht sie nie. Außer wenn jemand durch ungeduldiges Drängeln den elektrischen Motor zum Aussetzen bringt. Zum Beispiel die 50 Koreaner, die mit voll gestopften Saturn-Hansa-Tüten behängt eilig in Richtung Parkplatz drängen, um dort in einem Reisebus zu verschwinden.
Verzaubert dreht sich die Tür hingegen mit einer Zirkuskünstlerin in komplettem Kostüm und Make-up, die, gefolgt von einem etwa 16-jährigen „Pagen“ mit Kleidersack und Koffern, zur Rezeption eilt. Zum bloßen Nutzgegenstand wird die Türe nur durch die zahlreichen Einkäufer, die vom Parkplatz nördlich des Alexanderplatzes zu Kaufhof oder Saturn Hansa gehen, ohne zu bemerken, dass sie eigentlich auf einer Bühne stehen.
Seit 30 Jahren empfängt das Forum-Hotel Menschen aus allen Zeiten und Richtungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Schon kurz nach der Eröffnung im Oktober 1970 begrüßte man internationale Gäste im Neubau des Bau- und Montagekombinates Ingenieur-Hochbau Berlin. Nach der Wende wurden die Hotelhalle und die vier Fahrstühle immer leerer, 1992 nahm sich die Intercontinental-Gruppe des Geister-Hotels an und führte Modernisierungen und Renovierungen durch.
„Wir sind eigentlich ein Konferenzen- und Tagungshotel, haben aber auch viele Gruppenreisen“, sagt Nancy Hauck, Pressesprecherin des Dreisternehauses. Und die treffen sich in der Foyerbar des zweitgrößten Berliner Hotels mit 1.006 Zimmern und einer gastronomischen Kapazität von 2.000 Plätzen. Manager treffen auf das Fußvolk und Busreisende auf feine Damen. In orange und grün bemalten Rattanstühlen sitzen drei ältere Damen mit kurzen Locken, trinken Mineralwasser und warten auf ihr Zimmer und die anderen Damen aus dem Bus. Der Nachbartisch ist unter Manuskripten und längst ausgetrunkenen Kaffeetassen unsichtbar geworden. Drei Herren in blauen Hemden diskutieren ein Projekt.
Noch einen Tisch weiter organisiert gerade ein älterer Herr mit kariertem Hemd und Hosenträgern Stühle aus der gesamten Bar. Eine Wochenendfahrt ehemaliger Kollegen beginnt mit einem Bier für die dreizehn Reisenden. Ihre Begleiterinnen trinken Fanta. Zeit für ein Gespräch haben sie allerdings nicht. Der Stühlesucher deutet durch das Glasdach in den dämmernden Himmel. Bevor es dunkel wird, wollen sie ein wenig Berliner Luft schnuppern.
Gesprächsfreudiger sind vier schwedische Geschäftsmänner am anderen Ende der Bar, die bereits beim dritten Pils sind. Im Forum-Hotel sitzen sie nicht von ungefähr. „Ich wollte meinen Geschäftspartnern ein echtes alt-kommunistisches Hotel zeigen“, sagt einer von ihnen. Die anderen Herren nicken zustimmend. Normalerweise sehen die Hotels doch in jeder Stadt gleich aus. Wieder signalisieren die anderen Zustimmung.
Über die Geschichte des Hauses wisse man gut Bescheid. Darüber, dass das ehemalige „Hotel Stadt Berlin“ das Vorzeigeprojekt der DDR war. Darüber, dass es das einzige war, in denen man mit Ost-Mark bezahlen konnte, während die anderen Häuser als sogenannte „Valuta-Hotels“ nur harte Westwährung akzeptierten. Darüber, dass sich im Restaurant in der obersten, 37. Etage DDR-Politiker und Geschäftsleute trafen und westliche Spirituosen tranken. Und darüber, dass sich zu Zeiten der Wende dort die Mitglieder der Sozialistischen Internationale versammelten. „Wo sonst findet man so viel Geschichte“, sagt der Geschäftsmann. Und wieder nicken die anderen lächelnd. Heute Abend fahren sie in die Hackeschen Höfe und im nächsten Jahr nach Warschau.
Doch nicht jeder zollt dem geschichtlichen Hintergrund des Forum-Hotels so viel Hochachtung wie die schwedischen Geschäftsmänner. Ein kanadischer Computeringenieur, der in der Hotelbar nur eine kleine Pause in seiner Sightseeing-Tour einlegt, hat noch nie etwas gehört von Ost-Glamour. Er sieht nur die 142 Meter hohe Stahlfassade des Hotelturms und bewertet sie mit einem angewiderten: „It’s so ugly!“
Zugegeben: Ganz alleine steht er mit seiner Meinung nicht da. Dass der Alexanderplatz als großes Denkmal für die Geschichte der DDR und die Teilung der Stadt erhalten werden soll, denken nur wenige Architekten. Die anderen malen die Zukunft des Alexanderplatzes in Glas und Beton. Mit zehn neuen Hochhäusern und ganz ohne den Hotelklotz mit blauen Platten und roter Leuchtreklame.
Im Hotelriesen am Alex will man von dem Bebauungsplan von 1998 nichts wissen. Die Pressesprecherin des Hotels ist sich sicher: „Bis 2007 geht unser Pachtvertrag, einen Abriss wird es auch danach nicht geben.“ Wie viele Veränderungen es am Alexanderplatz auch geben mag: Das Forum steht wie ein Fels in der tosenden Brandung. Bis auf weiteres jedenfalls. Und von ganz unten hört man die ewig rotierende Drehtür leise schnurren.
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