Mit dem Lötkolben ins Internet

Anthroposophie und moderne Technologie ist nicht unbedingt ein Widerspruch: Familie Steiner ist schon längst online

Nach anfänglicher Skepsis tummeln sich in letzter Zeit so viele Anthroposophen im Internet, dass es schon fast ein bisschen unübersichtlich wird.

Auf der deutschsprachigen anthroposophy.com findet sich ein Wust von Links zu Diskussionsforen, Adressenlisten, privaten Pages und Onlineversionen der Steiner-Schriften.

Auf www.waldorf.net stehen aktuelle und ausführliche Beiträge über Waldorfpädagogik, die Schulen präsentieren sich unter www.waldorfschule.de.

Die Website www.weleda.de des anthroposophischen Gesundheitsunternehmens wird auch von außerhalb der Szene für ihre Kundenbetreuung gelobt. Und über den Link „Gemüse“ der Ehemaligenseite der Rudolf-Steiner-Schule Nürnberg (home.t-online.de/home/p-hoh) können sich Interessenten gar erkundigen, welche Ackerfrüchte aus dem Schulgarten gerade zum Verkauf stehen.

„Noch allerdings haben wir es nicht geschafft, einen Gesamtauftritt zu Stande zu bringen“, räumt Martin Barkhoff, der Medienbeauftragte der Anthroposophischen Gesellschaft, ein. In den USA sei man hingegen schon weiter: Dort arbeiteten zum Beispiel vier Leute allein daran, per Internet Anfragen zu Kontakten und Studien zu beantworten.

Die Begeisterung für das neue Medium wird freilich nicht von allen geteilt. „Es gibt eine kleine, sehr agile Gruppe, die extrem technik-skeptisch ist. Auf der Generalversammlung unseres Dachverbandes hat kürzlich tatsächlich eine Gruppe von Freaks gefordert, dass Steiner-Schriften nicht auf CD-ROM veröffentlicht werden sollen“, so Barkhoff.

Dass solche Debatten unter Anthroposophen immer wieder einmal geführt werden, mag zu dem verbreiteten Vorurteil beigetragen haben, Anthroposophie und Waldorfpädagogik seien neuen Technologien überhaupt abgeneigt.

Tatsächlich ist der Computer gerade an Waldorfschulen oft ein alter Hut. Detlef Hardorp, Bildungspolitischer Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg, erklärt: „Die erste Schule, die in Berlin überhaupt Computer zum Unterrichtsgegenstand hatte, war in den Fünfzigerjahren die Rudolf-Steiner-Schule.“ Und „das lässt sich direkt auf Steiner zurückführen“, sagt Hardorp: „Steiner hat immer die modernste Technologie genutzt, die zur Verfügung stand. Nur waren damals andere Dinge modern.“ Von den insgesamt 150 Waldorfschulen, die eine Oberstufe haben, bieten gerade einmal vier keinen Computerunterricht an.

Für die Oberstufenschüler an einer Waldorfschule beginnt der mit dem Lötkolben: Bevor hochmoderne Kisten bequem angeknipst werden, sollen die Schüler die Komponenten und Funktionsweise eines Rechners erst einmal dadurch kennen lernen, dass sie selbst einen bauen.

Das Internet hingegen spielt im Unterricht keine große Rolle. Hardorp sieht im Internet in erster Linie eine erweiterte Bibliothek, die trotzdem nicht mit traditionellen Bibliotheken mithalten kann: „Wenn Sie etwas über Heinrich VIII. im Internet suchen, finden Sie nichts, was taugt. Da ist eine richtige Bibliothek effizienter.“

MARTIN KALUZA