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Zwischen Anarchie und Spießbürgertum

■ Senat: Die „illegalen Bewohner“ des Parzellengebietes am Waller Fleet sollen gehen / Für Vertreter des Bau-ordnungsamtes ist das Gebiet inzwischen „no-go-area“

Nein, tauschen möchte man nicht mit Frau D. vom Bauordnungsamt. Doch die über 70-jährigen reiben sich in ihren Schwarzbau-Wintergärten die Hände. „Die soll ruhig nochmal hier vorbeischauen, das war immer lustig.“ Ansichtssache. Mit Forken und mühsam zurückgehaltenen Schäferhunden werden Vertreter der Stadt Bremen hier in schöner Regelmäßigkeit von der Scholle gejagt. Zuletzt streunten Behördenmitarbeiter vor vier Jahren durchs Parzellengebiet zwischen Waller Fleet und Bahnlinie, um Licht ins Gestrüpp der „Behelfsbehausungen und illegalen Wohnnutzungen“ zu bringen. Unverrichteter Dinge wurde die Aktion abgeblasen. Nun stehen neue Besuche ins Haus. Das Gebiet ist mit dem hässlichen Namen „Bereinigungsgebiet“ belegt.

Wer hier nicht rechtens lebt, muss weg. Und das sind ganz schön viele. Über 350 Häuschen sollen laut einer Senatsvorlage bewohnt sein. Davon nur 62 zu Recht von den Nutznießern des Kaisen-Erlasses (siehe Kasten). Aber auch die verursachen Probleme. Gewöhnt, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen, bauen die Alteingesessenen ihre Häuser mit dem ganzen Charme des Kleinbürgers um und aus. Mit Holzverschalung und Fotos von Enkeln und Schäferhund wird aus der Garage schnell mal ein Partyraum. Und dann gibt's Schwierigkeiten mit dem Brandschutz. Das Bauordnungsamt, das kann man daraus lernen, ist der natürliche Feind des Laubenpiepers.

Die Ausgangslage für Verhandlungen zwischen Stadt und Parzellieros fasst das Senatspapier zusammen: „Bei den Nutzern besteht keine Gesprächsbereitschaft“. Das kann man so nicht sagen. Bereitwillig erzählen die BewohnerInnen, wie sie zu ihrem Wohnsitz gekommen sind. „Mich ham se umgesiedelt vom Weidedamm III, da hab ich 20 Jahre gewohnt.“ Sigrid Wiese* lebt mit ihrem schwer kranken Mann in einem kleinen Steinhäuschen. Das teilen sie sich mit Papageien und drei Hunden. Eine Wohnung in der Stadt würde sie nicht finden, sagt sie. Die fünfzigjährige Zeitungsausträgerin kommt vom Regen in die Traufe. „Die sind doch völlig bekloppt, wollen die jetzt künstlich Armut herstellen, oder was?“ Ein paar von den Illegalen, die im Waller Fleet wohnen, kennt sie vom Weidedamm: „Die waren völlig runtergekommen, aber irgendwie ham die das als Sprungbrett benutzt.“ Jetzt hegen und pflegen sie Haus und Hof, „das hätte kein Sozialarbeiter hingekriegt. Da heiligt doch der Zweck die Mittel.“

Bei ihrer Nachbarin sind die Rollläden runtergelassen: Auch Jelena Dom*, 32, trägt jede Nacht Zeitungen aus. Die Osteuropäerin war in Bremen verheiratet. Ihr Mann verstarb plötzlich und jung – die Wohnung in der Stadt konnte sie nicht mehr halten. Aber da war ja noch das Häuschen auf Parzelle, in das Frau Dom dann kurzerhand zog.

Nach den Richtlinien für ein Bereinigungsgebiet, die jetzt durchgesetzt werden sollen, müssten beide Frauen ihre Wohnung räumen. Nicht so das Ehepaar Samel. Erich und Erna, 88 und 77 Jahr alt, haben ihr Stück Land nach dem Krieg von Bauer Fischer, der am Rand des Parzellengebiets einen Hof betreibt, gekauft. Noch immer bauen die beiden Gemüse an, derzeit steht in Reih' und Glied der Grünkohl auf dem Acker. „Obwohl die Sachen gar nicht mehr gut wachsen“, klagen die Alten. „Von Osten schleudert die Müllverbrennungsanlage mit Dreck und im Westen verbrennt Klöckner sein Zeugs.“ Die Salatgurken gehen angeblich ein, bevor sie groß sind. Jetzt soll den Illegalen unter anderem wegen umweltrechtlicher Bedenken der Garaus gemacht werden. „Die sollen sich mal lieber darum kümmern, dass der Fleet wieder sauber wird.“, sagt Erich Samel. Mit den unrechtmäßigen Bewohnern im Gebiet haben die beiden keine Probleme. Höchstens mit deren Vorstellungen vom schönen Garten. „Gucken Sie sich mal unsre Hecke an und dann die da drüben. Das ist doch kein Zustand“, wettert der alte Herr, während seine Frau milde lächelt: „Die Geschmäcker sind eben verschieden.“ Heute hatten sie Post im Briefkasten. Walter Polz, Vorsitzender der Interessensgemeinschaft der Parzellenbewohner, bläst zur Attacke.

Im Kiebitzweg befindet sich das Kaisenhaus von Herrn und Frau Polz. Hinterm Badezimmer und geruchlich an die Vorratskammer angeschlossen („Sie müssen schon entschuldigen, meine Frau hat Sauerkohl angesetzt“) liegt das voll ausgestattete Arbeitszimmer des Kleingarten-Aktivisten. 2000 Mal hat der 69-Jährige die Einladung zur Beiratssitzung am 9. November kopiert. Punkt 1: Bereinigung des Kleingartengebiets westlich des Waller Fleets. Auf der Beiratssitzung will Bausenatorin Wischer (SPD) das weitere Vorgehen erläutern.

Walter Polz und seine Frau Margot werden da sein. Immer bereit, die Mischung aus Anarchie und Kleinbürgerlichkeit zu verteidigen, die sie auch mal urplötzlich aus dem Haus stürmen lässt. Der Grund: Eine entfernte Ähnlichkeit der taz-Fotografin mit einer Mitarbeiterin des Bauordnungsamtes.

Elke Heyduck

*Name von der Red. geändert

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