piwik no script img

Der Pornosampler

Stöhnen mit Beckett: Der französische Regisseur François-Michel Pesenti inszeniert das Inventar der kommerziellen Pornografie fürs Burgtheater

von BARBARA EBEERT

Es sollte also richtig zur Sache gehen. Das Wiener Burgtheater wollte in seinem Theaterlabor – dem dritten Spielort Kasino am Schwarzenbergplatz – mit Pornografie experimentieren. Als Versuchsleiter wurde der französische Theatermacher François-Michel Pesenti engagiert, und der versprach in Interviews „Beunruhigung“. Die Schauspieler wurden ins Pornokino und zum Surfen auf einschlägigen Internetseiten geschickt, trafen Pornodarsteller, wälzten Kontaktmagazine. Die öffentliche Hand steuerte noch am Premierentag letzten Freitag Jugendverbot für unter 16-Jährige bei.

„Ich habe mich gefragt, wie der Körper des Theaters, der Körper der Schauspieler, sich des pornografischen Körpers annehmen kann“, so Pesenti. Fünf Frauen und fünf Männer hat er für „Pornologos“ in hautfarbene Trikots gesteckt – bei den Frauen sind Arm- und Beinteile abzippbar sowie Brust- und Genitalbereich gepolstert –, darüber Straßenkleidung. So stehen sie in einem Wartesaal mit Plastikstühlen für die Zuschauer, roten Vorhängen, transparenten Zwischenwänden und Neonlicht.

Das Vorspiel beginnt wie ein Casting-Gespräch. Über Lautsprecher fragen zuerst eine männliche Stimme auf Französisch und dann eine weibliche auf Deutsch teilnahmslos nach Name, Alter, Nationalität, Körpermaßen und ihrer Gage – die Schauspieler antworten mit leerem Blick aufs Publikum und folgen Befehlen wie „Macht den Hund!“, „Macht die geile Frau!“, „Fasst euer Geschlecht an!“, „Fasst das Geschlecht eures Nachbarn an!“ Auf Befehl aus dem Off werden Versatzstücke aus pornografischen Bildern und Filmen einzeln und in Kombinationen vorgeführt: Stellungen, Blicke, Worte, Geräusche. Aus diesem Ton- und Bewegungsinventar, das einen geradezu handwerklichen Aspekt in die Inszenierung bringt, bedienen sich die Darsteller – nach der Durchsage „Aufwärmen!“ – selbst. Was folgt, sind Inszenierungen in Kleingruppen: der Schauspieler als Sampler der Motive, die er erlernt hat. Jeder ist sein eigener Regisseur bzw. der des andern. Ein Hardcore-Porno wird als Dialog erzählt, Kontaktanzeigen launig vorgetragen und obszöne Worte in den Raum gerufen. Auf eine Differenzierung zwischen Industrieprodukten und privaten Zeugnissen wird verzichtet. Die Spuren, die die Truppe bei ihren Spielchen hinterlässt – Apfelstücke, Wasser, Vaseline –, werden umgehend von einem teilnahmslosen weiblichen Putzkommando in blauen Mänteln entfernt.

In diese Collage, die mit „Mainstream-Pornos“ die monotone Mechanik und Sprachlosigkeit gemein hat, werden literarische Texte eingeschoben – neben „idiot“ von Konrad Bayer, „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ von Bernard-Marie Koltès und Heiner Müllers „Quartett“ vor allem „Der Verwaiser“ von Samuel Beckett. Diesen Text, der das genauen Regeln unterworfene Leben einer Gruppe von Menschen in einem viel zu kleinen zylindrischen Raum beschreibt, nennt Pesenti als Inspiration – doch in der Inszenierung nimmt er sich wie ein Fremdkörper aus. Eher wirken die Texte wie literarische Alibis für die Beschäftigung mit der Pornografie. Am Ende darf sogar die Callas aus dem Off über die handwerkliche Seite des Belcanto-Gesangs sprechen, überlagert vom Stöhnen in der Kasino-Halle.

Das Ergebnis: Pornografie ist eine Kombination von Gesten, Blicken und Geräuschen, vorgetragen je nach Temperament mit ernstem Gesicht oder ironischer Distanzierung. Diese „Sprache“ ist erlernbar, aber nur bedingt theatertauglich und schon gar nicht beunruhigend. Eher eine fragwürdige Versuchsanordnung, die am Thema Pornografie weitgehend vorbeizielt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen