: Diagnose: Falsche Kasse
Ärztin verweigert die Behandlung einer Patientin – weil deren Krankenkasse nicht genug zahlt. Immer mehr Versicherte preisgünstiger Kassen klagen über Probleme mit niedergelassenen Ärzten
von SABINE AM ORDE
Was die Ärzte während ihres derzeitigen Streiks gerne androhen, ist längst Wirklichkeit: Immer mehr Patienten, die bei den preiswerten Betriebskrankenkassen (BKK) versichert sind, beschweren sich über schlechte Behandlung durch niedergelassene Ärzte. Bei der Verbraucherzentrale liegt nun ein besonders krasser Fall vor: Eine Hautärztin verweigerte die Behandlung einer Patientin, weil diese bei der der BKKs Verkehrsbau Union (VBU) versichert ist. Das berichtete gestern Patientenberaterin der Verbraucherorganisation, Dörte Elß.
Die Patientin hatte einen Termin bei der Spezialistin für Allergien. Doch statt behandelt zu werden, musste sie sich zunächst eine halbe Stunde für ihre Krankenkassenwahl rechtfertigen. Dann verweigerte die Hautärztin die Behandlung. Die Begründung: Ihre Krankenkasse zahle zu schlecht.
„Wenn sich das so zugetragen hat, ist es ein klarer Rechtsbruch“, urteilte gestern der Sprecher der Gesundheitsverwaltung, Klaus-Peter Florian. „Die Ärzte haben eine Behandlungspflicht.“ In einem solchen Fall müsse die Kassenärztliche Vereinigung (KV) aktiv werden. Der Dachorganisation der Kassenärztehat die Aufsicht über ihre Mitglieder, sie kann disziplinarische Maßnahmen von der Abmahnungen über Bußgeld bis zum Entzug der Kassenzulassung verhängen.
Auch die KV weiß von „einzelnen Beschwerden dieser Art“. Da diese aber noch nicht geklärt seien, wollte sich ihre Sprecherin Annette Kurth gestern nicht konkret äußern. Klar aber sei: „Wenn die Vorwürfe stimmen, verstößt das gegen die vertragsärztliche Pflicht.“
Für Patientenberaterin Elß ist die Behandlungsverweigerung ein besonders harter Fall – Beschwerden in abgeschwächter Form aber gebe es „in Massen“. Die Patienten klagen über Schwierigkeiten, einen Termin zu bekommen, wenn sie ihre Krankenkasse nennen. Zudem würden sie mit Forderungen konfrontiert, für Leistungen zu zahlen, die eigentlich die Kasse übernimmt. Darüber hinaus drohten Ärzte, die Weiterbehandlung abzubrechen, wenn Patienten in zur „falschen Kasse“ wechseln. Elß: „Die Patienten sind stark verunsichert.“
Öffentlich äußern wollen Kassenärzte zu ihrem Umgang mit VBU-Versicherten meist nicht. „Ich sage den Patienten, dass sie nicht erwarten dürfen, dass sie auf der Höhe des medizinischen Fortschritts von mir behandelt werden“, sagt ein Arzt aus Wilmersdorf, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Ultraschall wendet der Internist bei VBU-Patienten nicht an, auch cholesterinsenkende Medikamente würden sie nur in Notfällen bekommen. „Wer mit erhöhtem Blutdruck ankommt, dem verordne ich eine Diät.“
Verärgert sind die Ärzte, weil die preiswerten Betriebskrankenkassen wie die VBU im Vergleich zu den Ersatzkassen eine geringere Pauschale pro beitragspflichtiges Mitglied an die Kassenärztliche Vereinigung zahlen. Die so genannte Kopfpauschale bildet die Grundlage für den Honorartopf der niedergelassenen Ärzte. Der Unterschied ist eklatant: die VBU zahlt monatlich 37,70 Mark, die AOK 64,45 Mark, die Barmer 85,20 Mark pro Versicherter. Die gutzahlenden Ersatzkassen haben beim Kassenwechel 1999 rund 88.000 Mitglieder in Berlin verloren – meist an die preiswerten BKKs.
Sauer sind die Ärzte auch auf die Innungskrankenkasse (IKK): Sie zog mit ihrer Zentrale nach Potsdam und zahlt ihre Kopfpauschalen, die in Brandenburg niedriger sind, nun an die dortige KV. Nach Angaben der KV bedeutet dies für die Ärzte insgesamt ein Minus von 22 Millionen Mark in diesem Jahr – ohne dass sich ihre Patientenzahl oder ihre Leistung verändert hat. Die Fachärzte, die in dieser Woche streiken, wollen morgen Mahnwachen vor den Geschäftstsellen der VBU und der IKK durchführen. Sie fordern eine Neuorganisation der Kopfpauschale und wollen die Patienten darauf aufmerksam machen, „was ein Wechsel der Krankenkasse bedeuten kann“.
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