: Chen abgeschaltet?
Taiwans Opposition will Präsident Chen Shui-bian wegen seiner Atomausstiegspläne des Amtes entheben lassen
BERLIN taz ■ Der von Taiwans Regierung verkündete Atomausstieg eint die fragmentierte Opposition. Sie will jetzt Präsident Chen Shui-bian des Amtes entheben lassen. 123 der dafür benötigten 147 Abgeordneten haben bereits eine entsprechende Erklärung unterzeichnet. Das Verfahren ist möglich, weil Chens Demokratische Fortschrittspartei (DPP) nur über 68 der 221 Parlamentssitze verfügt. Chen war im März nach über 50-jähriger Herrschaft der nationalistischen Kuomintang als erster Oppositionskandidat zum Präsidenten gewählt worden. Die Kuomintang hatte sich gespalten und war mit zwei Kandidaten angetreten. Seitdem regiert Chen mit einer Minderheitsregierung.
Um die oppositionelle Parlamentsmehrheit gnädig zu stimmen, hatte Chen einen zur Kuomintang gehörenden Premier ernannt. Dieser trat jedoch Anfang des Monats im Streit um das vierte AKW zurück. Die Kuomintang hatte dem 2.700-MW-Doppelreaktor in seiner 20-jährigen Planungsgeschichte immer die Stange gehalten und seinen Bau gegen Chens DPP durchgesetzt. Im März 1999 begannen die Arbeiten an dem 5,7 Milliarden US-Dollar teuren Kraftwerk. Seitdem wurden 1,4 Milliarden Dollar verbaut. Das am vergangenen Freitag von der DPP-Minderheitsregierung verkündete Ende des Projekts wird weitere zwei Milliarden Dollar an Vertragsstrafen kosten. Die Regierung begründete den Baustopp mit Sicherheits- und Umweltbedenken und sprach von einer „Gewissensfrage“.
Erstmals seit ihrer Spaltung vor der Wahl trafen sich am Montag die beiden Oppositionsführer Lien Chan und James Soong. Soong hatte im Frühjahr auf seiner eigenen Kandidatur bestanden, worauf er aus der Kuomintang ausgeschlossen wurde. Deren Kandidat war Lien. Soong führt seitdem seine eigene Partei „People’s First“.
Die beiden entschieden sich jetzt für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Chen statt für ein Misstrauensvotum gegen den neuen zur DPP gehörenden Premier, weil für sie Chen das Hauptproblem ist. Für die Einleitung der Amtsenthebung muss zunächst ein Viertel des Parlaments votieren. Danach müssen zwei Drittel zustimmen, damit die Bevölkerung dann mit einfacher Mehrheit entscheiden kann. Dafür braucht die Opposition die Stimmen von sechs der zwölf unabhängigen Abgeordneten. Laut Umfragen sind 30 Prozent der Bevölkerung für den Baustopp und 50 Prozent für einen Weiterbau. Ironischerweise hatte die DPP während ihrer Oppositionszeit zwei inoffizielle Referenden durchgeführt, die von der Kuomintang boykottiert worden waren. SVEN HANSEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen