piwik no script img

Filmstarts á la cartePoetische Revolution

■ Eine umfassende Retrospektive der Werke Alexander Dowshenkos, des bedeutendsten ukrainischen Regisseurs der Sowjetzeit, zeigt das Arsenal- Kino in den kommenden zwei Wochen. Obwohl Dowshenkos Filme - nicht anders als die Werke seiner Zeitgenossen Eisenstein und Pudowkin - den Aufbau des Sozialismus und die Errungenschaften der Revolution preisen, bieten sie doch mehr als reine Propaganda: Vor allem in seinem Meisterwerk „Erde“ - einer Geschichte von Bauern, die sich gegen einen Landbesitzer organisieren, der ihren Anführer tötet - wird sowohl Dowshenkos Gespür für die Poesie der Landschaft seiner Heimat, als auch seine Bereitschaft deutlich, sich auf das alltägliche Leben der kleinen Leute einzulassen.

„Erde“ (OmÜb) 4.11. im Arsenal 2; weitere Dowshenko-Filme bis zum 15.11.

■ Viel Glück haben Don Bluth und Gary Goldman mit der Leitung der Fox-Animations-Abteilung nicht gehabt: Nach nur zwei Kinoproduktionen wurde das mit Millionen-Aufwand errichtete Zeichentrickstudio in Phoenix wieder geschlossen, weil weder „Titan A.E.“ noch „Anastasia“ die erhoffte kommerzielle Konkurrenz für den Rivalen Disney darstellten. Dabei konnte es „Anastasia“ künstlerisch durchaus mit den besten Disney-Filmen der letzten Jahre aufnehmen: Das Musical um Identitätsverlust und - suche der jungen Zarentochter kommt mit flotten Songs, interessanten Hauptfiguren und verschwenderisch detaillierten Hintergründen im CinemaScope- Format daher. Für ganz kleine Kinder eignet sich das Zeichentrickabenteuer allerdings nicht unbedingt: Der Schurke Rasputin - hier in geringfügiger Uminterpretation der Geschichte de facto auch noch für die sowjetische Revolution zuständig - ist nämlich richtig böse und bedrohlich und kann durchaus Angst machen.

„Anastasia“ 2.11.-8.11. im Sojus 2

■ Im Jahr 1938, während der Dreharbeiten zu „Le roman de Werther“, wurde Max Ophüls französischer Staatsbürger. Eine Tatsache, auf die er durchaus stolz war, hatte ihn sein Gastland nach der Emigration 1933 doch „gern aufgenommen“ und „wie einen seiner Bürger akzeptiert“, wie Ophüls in einem Artikel für die Zeitung Le Figaro seinerzeit schrieb. Geistig blieb der in Saarbrücken geborene Regisseur jedoch der deutschen Kultur zeitlebens verbunden. Kein Wunder also, dass er die Gelegenheit wahrnahm, Goethes `Die Leiden des jungen Werthers‘ in seiner neuen französischen Heimat zu verfilmen - als eine Art Exilfilm unter Mitwirkung des Drehbuchautors Hans Wilhelm, des Komponisten Paul Dessau und des Kameramannes Eugen Schüfftan. Ophüls‘ Ziel war es, mit seinem „Werther“ den Nazis (die dann auch heftig gegen die jüdischen Exilanten polemisierten) das Monopol auf die deutsche Klassik zu nehmen, das Verbindende zwischen deutscher und französischer Kultur herauszustellen und seinen Helden nicht nur an unerfüllter romantischer Liebe sterben zu lassen, sondern auch an der moralischen Rigidität seiner Zeit. Es wurde ein weitgehend düsterer „Werther“: Für den schmärmerischen Idealisten ist in einer von Schüfftan in starken Kontrasten fotografierten Welt dunkler Schatten kein Platz.

„Le roman de Werther“ (OF) 7.11. im Arsenal 2

■ Ein Klassiker des poetischen Realismus: Marcel Carnés „Le jour se lève“ führt den Zuschauer in ein tristes Vorstadtviertel, wo sich ein Arbeiter (Jean Gabin) nach dem Mord am Verführer seiner Verlobten in seinem Zimmer vor der Polizei verbarrikadiert hat und der Ereignisse der letzten Tage gedenkt. Schäbige, vom Dampf der Lokomotiven eingehüllte Häuschen an den Bahngleisen, trostlose Mietskasernen, eine Fabrik: die von Alexandre Trauner entworfenen Bauten verbreiten eine Stimmung melancholischer Resignation, die Hollywood immerhin derart beeindruckte, dass man 1947 in der Glanzzeit des Film noir ein Remake mit Henry Fonda unter dem Titel „The Long Night“ drehte.

„Le jour se lève“ (OmU) 4.11. im Arsenal 2

Lars Penning

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen