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Ein Schritt vor, zwei zurück

Zwangsarbeiter können dieses Jahr kaum noch auf Entschädigung hoffen. US-Richter stellen Regelung in Frage. SPD-Fraktionschef Struck droht Firmen mit Gesetz

BERLIN taz ■ Die Zahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter werden sich voraussichtlich bis weit in das nächste Jahr verzögern. Grund sind offenbar Bedenken der US-Gerichte, ob die für Vermögensschäden vorgesehene Summe von einer Milliarde Mark für einen fairen Vergleich ausreiche.

Die für die Sammelklagen gegen Banken und Versicherungen zuständige Richterin habe einen Gutachter mit der Prüfung beauftragt, berichtete gestern die Frankfurter Rundschau. Dieser werde erst Mitte Januar seine Stellungnahme abgeben. Hintergrund sei der Vergleich zwischen NS-Opfern und den Schweizer Großbanken. Diese hatten für ihre Rechtssicherheit 2,25 Milliarden Mark zugesichert.

Ziel war es bisher, die Klagen gegen Banken und Versicherungen möglichst zeitgleich mit den Sammelklagen gegen Industrieunternehmen Mitte November abzuweisen.

Volker Beck, Vertreter der Grünen-Fraktion im Kuratorium der Stiftung, hat für die neuerliche Diskussion wenig Verständnis. „Ich bin erstaunt, dass die Vermögensschäden jetzt als zu gering bewertet werden, obwohl die Entschädigungsgesetzgebung in Deutschland längst abgeschlossen ist.“ Er warnte die amerikanische Seite, die Zurückweisung der Klagen weiter zu verzögern. „Wir erreichen immer weniger Opfer, das ist die eigentliche Tragödie.“

Im Juni hatten sich Deutschland und die USA auf ein Abkommen zur Rechtssicherheit vor weiteren Klagen geeinigt – eine Forderung deutscher Firmen.

Zusammen mit den Abgeordneten von SPD, FDP und PDS will Beck in den kommenden Wochen nach Washington reisen, um die noch strittigen Fragen endgültig zu klären. Der ursprünglich auf den 26. November festgesetzte Termin wurde verschoben. „Das hat aber nichts mit der jetzigen Diskussion zu tun“, betonte Beck.

Die Stiftungsinitiative der Wirtschaft muss die von ihr zugesagten fünf Milliarden Mark für den Fonds spätestens dann überweisen, wenn der Bundestag die Rechtsgarantien für ausreichend befunden hat. Das sollte ursprünglich noch in diesem Jahr geschehen. Bisher haben erst 4.500 der angeschriebenen 200.000 Unternehmen ihren Beitrag zum Entschädigungsfonds zugesagt. Noch immer fehlen 1,7 Milliarden Mark.

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, drohte der Wirtschaft gestern mit Zwangsmaßnahmen, sollte sie ihre Zusage für den Entschädigungsfonds nicht einhalten. Als letzte Möglichkeit schloss er gegenüber der taz eine Änderung des Stiftungsgesetzes nicht aus. Das Gesetz erwähnt nur den Wirtschaftsanteil von fünf Milliarden Mark. Den Fall, dass die Firmen ihr Geld nicht zusammenbekommen, sieht es dagegen nicht vor. „Das Gesetz regelt eindeutig, wer was zu zahlen hat. Beide Parteien sind angehalten, ihren Beitrag zu leisten“, betonte eine Sprecherin des Finanzministeriums. Doch: „Sanktionsmöglichkeiten gibt es keine.“ Eine Bürgschaft der 16 Gründungsmitglieder hatte die Stiftungsinitiative bisher stets abgelehnt. NICOLE MASCHLER

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