: Bilinguales Gymnasium – Top oder Flop?
■ Nur drei von 31 SchülerInnen auf dem bilingualen Bildungsweg in Walle schafften das Klassenziel „Cambridge Certificate“ / In der Sekundarstufe gibt es keinen einzigen englischen „native speaker“-Lehrer / Eine ehemalige Schülerin zieht Bilanz
Builingual ist gut. Wie aus dem Wort „bilingual“ schon hervorgeht, handelt es sich im Bezug auf das Schulwesen um zweisprachigen Unterricht. Das bedeutet einen Wochenstundenplan, der um mehrere Stunden Englisch bereichert ist. Außerdem werden verschiedene andere Fächer in englischer Sprache abgehalten. Dies gilt für Biologie, Werken, Sport und ab der achten Klasse auch für Geschichte. Ungeachtet geteilter Meinungen darüber, wie sinnvoll zum Beispiel Sportunterricht in englischer Sprache ist, ermöglicht es den SchülerInnen in jedem Fall, sich ein umfangreicheres Wissen an Fachausdrücken anzueignen. Zusätzlich schafft das vermehrte Englisch-Sprechen ein höheres Maß an Sicherheit im Gespräch mit anderen. Doch das ist nicht alles. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die SchülerInnen während der Zeit an der Sekundarstufe eins und auch in den Jahren an der Oberstufe optimal auf eine Prüfung vorbereitet werden sollen, bei deren Bestehen das sogenannte Cambridge-Certificate ausgehändigt wird, und je nach Abschlussnote, den Besuch englischer Universitäten ohne vorherige Aufnahmeprüfung ermöglicht. Doch zumindest für einen Großteil unserer Klasse war es ein nicht gerade leichter Weg, die meisten haben dieses Ziel nicht erreicht.
Dies begann schon in der Sekundarstufe I. Dazu muss man sagen, dass wir, eine Klasse von 31 SchülerInnen, die erste bilinguale am Waller Ring waren und wir uns eben deshalb nicht selten als Versuchskaninchen fühlten. Außerdem wurden wir sofort als eine Art Elite propagiert, was den Umgang mit anderen SchülerInnen beträchtlich erschwerte. Auch die LehrerInnen trugen in dieser für sie neuen Situation zu den Schwierigkeiten bei. Sei es durch Aussagen zweier Mathematiklehrer gegenüber unserer Parallelklasse nach geschriebenen Arbeiten, dass die „Bilis“ ja mal wieder besser waren, oder durch das Herumzeigen einiger Fotos unserer Klasse, mit den Worten: „Das sind meine Bilis!“. So waren wir für das Gros der anderen Klassen bis zuletzt schlichtweg die „Bili-Schweine“. Sicherlich ist es LehrerInnen nicht abzusprechen, stolz auf ihre Klassen zu sein, doch war es für uns oftmals ein Spießrutenlauf. Die Erwartungen uns gegenüber wurden nun auch höher gesteckt, und waren viele von uns anfangs noch sehr motiviert, änderte sich dies nach zwei Jahren gründlich: Von uns als Elite wurde sich auch erhofft, dass wir freiwillig Vokabeln lernten, welche dann eben auch nicht mehr abgefragt wurden. Der Gedanke ist natürlich ganz schön, nur ließen es jetzt viele von uns einfach bleiben. Wozu denn auch, da wir ja alles schon so toll konnten?!
Die Leistungen ließen jedenfalls nach und im ersten Jahr an der Oberstufe bekamen wir die Quittung für unser Verhalten.: Unser neuer Englischlehrer verzweifelte daran, welche Defizite die meisten von uns in Grammatik, Rechtschreibung und im Wortschatz hatten. Sicher war es zum Teil eigenes Verschulden, jedoch auch zu einem nicht unerheblichen Teil auf den bisherigen Unterricht zurückzuführen. Doch die Verantwortung wurde ausschließlich bei den SchülerInnen gesucht, und so lag es eben an unserer Faulheit, selbst wenn die Ergebnisse der Klausuren für sich sprachen: Die drei einzigen, deren Englischkenntnisse auf dem Niveau eines Englisch-Leistungskurses lagen, sind vorher auf anderen Schulen oder für ein Jahr im Ausland gewesen. Gerade diese drei beschwerten sich nun auch über den Unterricht, da er sie nicht forderte, was wiederum dazu führte, dass sich viele ganz aus dem Unterrichtsgeschehen zurückzogen. Nun hatten wir an der Oberstufe die Möglichkeit Biologie bilingual als englisches Nebenfach zu wählen. Doch auch hier traf der Unterricht unsere Erwartungen nicht. Da es an unserer Schule noch keinen Biologielehrer gab, der ausreichende Englischkenntnisse vorweisen konnte, wurden wir von einem Biologielehrer und einer Englischlehrerin gleichzeitig unterrichtet. Dies führte zu prekären Situationen, in denen sich entweder Biologie- oder EnglischlehrerIn aufgrund mangelndem Sprach- oder Fachwissens nicht verständlich machen konnten. Folge dessen waren tragisch - komische Momente in denen es zu Aussprüchen kam wie „We confuse it together“ - sollte heissen: Wir mischen es zusammen. In der Sekundarstufe II hatten wir keinen „native speaker“ als Lehrer mehr.
Die traurige Bilanz sieht nun leider so aus, dass von ehemals 31 SchülerInnen, die in der siebten Klasse „bilingual“ begonnen haben, lediglich sechs sich zutrauten, den Cambridge-Test anzugehen. Von diesen sechs bestanden drei SchülerInnen mit der Mindestleistung C, die restlichen drei erzielten bei einer Notenspanne von A-E Ergebnisse im Bereich D/E und waren somit durchgefallen. Dies warf im Nachhinein für viele die Frage auf, inwieweit ihre Entscheidung den „bilingualen Bildungsweg“ zu gehen überhaupt richtig und sinnvoll war.
Dass es an anderen Schulen durchaus positivere Ergebnisse und Erfahrungen gibt, unterstreicht den Sinn dieses Bildungsganges, macht jedoch die Unterschiede in der Durchführung deutlich. Klar ist, dass entscheidend mehr Wert auf fachliche Kompetenz und Qualifikation, sowohl in fachbezogener wie auch in pädagogischer Hinsicht gelegt werden muss, um solch demotivierende Mißerfolge zu verhindern und eine bessere Schulbildung zu ermöglichen.
Silke Weber, Abiturientin vom Schulzentrum Walle
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