piwik no script img

Wenig Zeit, wenig Geld ... ... macht viel Druck

■ Silke Striezel (CDU) und Anja Stahmann (Grüne) diskutieren über die Veränderungen in der Jugendförderung

Das Anpassungskonzept für die Kinder- und Jugendförderung wird derzeit in den Stadtteilen diskutiert (siehe Kasten). Während die Basis anpasst, hat die taz zwei Politikerinnen zum Streit über das Konzept gebeten: Es diskutierten die jugendpolitischen Fachfrauen Anja Stahmann von den Grünen und Silke Striezel von der CDU. Los ging's mit der schlichten Frage, was an dem umkämpften Konzept gut sei.

Silke Striezel (CDU): Gut an dem Konzept ist, dass wir endlich nach vielen Jahren Stillstand zu Veränderungen gezwungen werden. Ich mache seit 1987 Jugendpolitik, und seit spätestens Ende der 80er Jahre wissen wir, dass unsere Jugendfördermaßnahmen nicht mehr so zweckmäßig sind, wie sie mal früher gewesen sind. Insbesondere die Jugendfreizeitheime waren im Blick, weil sie viel Geld kosten. Sie sind Mitte der 60er, Anfang der 70er Jahre mit dem Beginn der offenen-Tür-Arbeit entstanden. Inzwischen hat sich gesellschaftlich einiges verändert. Aber jeder, der da versucht hat ranzugehen, stieß an Grenzen und Mauern. Jetzt ist der Druck so groß geworden, dass alle miteinander erkannt haben, dass es so nicht mehr weiter geht. Ich habe für die CDU seit Jahren die kleinräumige Jugendhilfeplanung eingefordert. Ich bin immer vertröstet worden, weil man gar nicht wusste, was das kostet und daher auch keinen Plan machen konnte. Jetzt kommt alles miteinander. Deswegen haben wir soviel Protest gekriegt, auch zu Recht. Wenn mir auch die Form des Protestes nicht gefallen hat.

Anja Stahmann (Grüne): Fachlich ist gegen das Konzept nichts einzuwenden. Es ist das gesammelte Wissen der Jugendbehörde. Ich finde allerdings, dass unterschätzt wird, was dieses Konzept kosten wird. Da sind hehre Ziele wie Jugendbeteiligung formuliert, es sollen Bedarfe ermittelt werden, es soll auch neue Jugendräume geben. Das heißt, Jugendliche brauchen auch Bezugspersonen. Und das kostet Personal. Das kostet Geld, weil es auch fachlich qualifiziert sein muss. Aber das Geld steht nicht zur Verfügung. SPD und CDU haben miteinander beschlossen, dass im Jugendbereich heftig gekürzt werden soll. 25 Prozent bis 2005 – das heißt faktisch, dass etwas schließen muss. Meine Kritik richtet sich an das ganze Verfahren. An die Kürzung sowieso. An das Verfahren, weil die Jugendlichen gar nicht beteiligt werden. Um in eine gleichberechtigte Diskussion zu kommen, ist es notwendig, dass man Bedarfe erfragt und dass man überprüft, was man hat – das ist ja jetzt das, was in den Stadtteilen läuft: eine Bestandsanalyse unter ganz massivem Zeitdruck.

Striezel: Es wäre sicher wünschenswert, man hätte mehr Zeit gehabt. Ein Teil der Zeit, die wir hätten mehr haben können, wurde durch die Proteste, durch die Verhinderung der ersten Jugendhilfeausschusssitzung, wo das Konzept hätte beschlossen werden sollen, verhindert. Dadurch haben wir mit Krampf kurz vor der Sommerpause das Konzept überhaupt erst beschließen können. Die Beratung vor Ort muss in einem ziemlichen Zeitraffer passieren. Ich bin allerdings überhaupt nicht sicher, dass, wenn wir jetzt ein ganzes Jahr Zeit hätten, erstens im Ergebnis etwas anderes rauskommen würde, zweitens es tatsächlich eine größere Beteiligung geben würde. Wenn Jugendliche sich beteiligen sollen, sind es doch immer nur relativ wenige, und den meisten geht sehr schnell der Atem aus. Es gibt eine Menge Probleme, was die Beteiligung angeht: Eine sinnvolle Vorbereitung auf Seiten des Amtes, wer in den Stadtteilen zwingend beteiligt werden muss, hat nicht stattgefunden. Aber wir brauchen die Beteiligung aller, denn unsere Position als CDU ist: Wir wollen mehr Aufgaben an freie Träger übergeben und die Kommune nur das machen lassen, was wirklich kein anderer machen will. Davon sind wir noch weit entfernt.

Stahmann: Frau Striezel, glauben Sie denn wirklich, dass die Kürzung von 2,5 Millionen Mark für die Jugendlichen ein Anreiz ist, sich zu beteiligen? Ich glaube das nicht. Die Jugendlichen merken ja ganz schnell, dass es ihnen ans Leder gehen soll. Beteiligung muss doch heißen, dass das, was von den Jugendlichen als Anregung kommt, auch Chancen hat, umgesetzt zu werden. Diese Kürzungsvorgaben standen ja überhaupt davor, bevor die Jugendlichen eingebunden worden sind. Hinsichtlich der Jugendhilfeträger halte ich es für fatal, dass Qualität und Erbringung dieser Quote miteinander verknüpft werden. Ich glaube, dass so ein Konkurrenzverhalten herangezüchtet wird: survival of the fittest. Das ist ja ganz klar: Die Kleinen gehen als erstes in die Knie. Und was die Mischung privater und städtischer Träger angeht – die halte ich für gut.

Striezel: Aber bei den freien Trägern wird gute Arbeit doch viel billiger geleistet als in den teuren Jugendfreizeitheimen.

Stahmann: Bei einem großen Grad an Selbstausbeutung.

Striezel: Selbstausbeutung – für mich ist das Engagement. Ich denke, wir haben gar nicht so wenig Geld zur Verfügung. Sondern wir binden einfach den größten Teil dieses Geldes in Jugendfreizeitheimen, die nicht alle so arbeiten, wie Kinder und Jugendliche es heute brauchen. Ich erwarte aus den Stadtteilkonferenzen ja gar nicht, dass die Stadtteile sagen, was geschlossen werden soll. Sondern ich erwarte, dass es eine Prioritätenliste gibt. Wenn wir das Ganze in die Stadtteile gegeben hätten und es hätte das gleiche Geld weiter gegeben, hätte es meines Erachtens keine Veränderung und keinen gezielter gerichteten Ressourceneinsatz gegeben. Das geht nur, wenn der Druck groß genug ist.

Stahmann: SPD und CDU machen jetzt seit fünf Jahren große Koalition. In dieser Zeit ist politisch gar nichts getan worden für die Modernisierung der Freizeitheime. Über drei Viertel der Beschäftigten wollen wechseln und dürfen nicht. Die Mitarbeiter haben weder Einblick noch Einfluss über die Kosten ihrer Freizeitheime. Die Jugendlichen können nicht über Geld mitentscheiden. Das sind Strukturen, die hätte man schon gestern angehen können – ich glaube, auch relativ unkompliziert. Aber das wurde nicht gemacht. Und jetzt habe ich den Eindruck, dass die große Koalition über die Kürzungsvorgabe ganz froh ist. Jetzt kann man mal Kehraus machen mit den ungeliebten städtischen Freizeitheimen. Das halte ich für falsch. Es ist en vogue zu sagen, die städtischen Freizeitheime sind schlecht.

Striezel: Das habe ich so nicht gesagt.

Stahmann: Nein, aber ich sage mal: Es ist en vogue. Es entsteht eine Konkurrenzsituation um knapper werdende Mittel zwischen freien und städtischen Trägern. Das ist politisch nicht verantwortbar. Ich stelle langsam eine Entpolitisierung fest: Die Stadtteile sollen über Kürzungen entscheiden. Es wird schon gar nicht mehr gemerkt, dass das eine Sache von Politik ist. Ich finde, dass Sie sich zu weit aus der Verantwortung zurückziehen. Nach dem Motto: Wir lehnen uns zurück und lassen die anderen Ideen bringen. Ein bequemes Verfahren für die Entscheidungsträger, die diese Kürzung ja beschlossen haben.

Striezel: Das sehe ich überhaupt nicht so. Erstens entziehen wir uns überhaupt nicht der Verantwortung, können wir gar nicht. Zweitens steht in dem Anpassungskonzept die Substanz zahlreicher Fachgespräche klar drin. Aber der Punkt ist der: Die Umverteilung nach dem Sozialindikator, der schon in der vorherigen Legislaturperiode oder sogar noch davor beschlossen wurde, sind faktisch nicht umgesetzt worden. Das ist uns in der Politik nie bekannt geworden. Und die größte Veränderung erfolgt durch die endlich zu realisierende Umverteilung. Die Kürzungsquoten kommen oben drauf. Dass die Verwaltung unsere Beschlüsse ignoriert hat, hat Entsetzen ausgelöst.

Stahmann: Aber wenn man 2,5 Millionen Mark den Jugendlichen wegnehmen möchte oder besser einsetzen möchte, wie Sie das formulieren, dann muss man doch fragen, was die Kunden wollen.

Striezel: Ja, das soll ja jetzt passieren. Alle können sich beteiligen, das steht ja gar nicht in Abrede.

Stahmann: Aber doch ohne die Kürzungen. Es ist doch eine Farce: Wir haben ja ein Kinder- und Jugendfördergesetz. Das haben einst die Grünen angeregt. Aber bis heute fehlt das Geld. Wenn man sich mal erinnert, was in diesem Gesetz alles drinsteht, ist klar, dass das mehr kostet als 9,5 Millionen Mark und dass das aktuelle Erfordernisse sind.

Striezel: Aber das sind freiwillige Leistungen, das müssen wir sehen.

Stahmann: Trotzdem müssen sie erfüllt werden.

Striezel: Und wir müssen immer sehen, dass wir das im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten machen. Wir müssen immer gucken, wo wir es hernehmen. Wir sind Gottseidank im Moment überall dabei umzusteuern. Im Sozialressort sind ja jetzt Spielräume frei. Und die werden wir im Sinne des Kinder-, Jugend- und Familienfördergesetzes nutzen.

Stahmann: Aber das hätte man doch vor dem Anpassungskonzept machen sollen. Das Konzept ist doch nichts anderes als ein Kürzungskonzept. Alles, was an Inhalt in dem Konzept drinsteht, fällt in diesem Prozess nach hinten runter, weil die Jugendlichen nicht gefragt wurden. Und weil wir politisch noch keine Standards festgelegt haben. Da hinkt die Politik doch ganz böse hinterher.

Striezel: Das erfolgt doch jetzt alles. Aber nicht in Strukturen, die überaltert sind, weil die notwendigen Veränderungen nicht passiert sind.

Stahmann: Wir wissen doch gar nicht, ob die Jugendlichen das überaltert finden.

Striezel: Und wenn sie einen Teil der Einrichtungen nicht annehmen? Dann scheint es so zu sein, dass es nicht interessiert. Sonst würden sie ja hingehen.

Stahmann: Aber das darf das doch nicht gleich ein Grund sein, eine Einrichtung zu schließen. Das ist unwirtschaftlich. Dann muss doch gerade so etwas greifen wie eine Leistungsvereinbarung. Es muss analysiert werden, woran es fehlt, und es muss politische Vorgaben geben.

Striezel: Aber das haben wir doch in den vergangenen Jahren rauf und runter getan.

Stahmann: Davon hat man nichts gemerkt.

Striezel: Rauf und runter! Gerade, was die Jugendfreizeitheime angeht. Wenn ein Jugendfreizeitheim ins Gerede kam, dann – ich erinnere mich genau – kriegte ich plötzlich einen Anruf, sie hätten wunderbar neue Konzepte entwickelt. Es hat aber nicht immer dazu geführt, dass deswegen nun die Jugendlichen diese Einrichtungen vermehrt besucht haben. Es gibt ganz verschiedene Gründe dafür, sei es die Lage, das Personal oder der Ruf, den so eine Einrichtung hat...

Stahmann: Oder die Möglichkeit der Beteiligung.

Striezel: Das, was uns dann als Konzept vorgelegt wurde, war auch nicht mit Jugendlichen erarbeitet worden, sondern von Sozialpädagogen.

Stahmann: Und da muss doch Politik sagen, Konzepte sind grundsätzlich mit Jugendlichen zu erarbeiten. Das muss Eingangvoraussetzung sein.

Striezel: Und wenn die nun sagen: Wir haben Jugendliche beteiligt, das waren aber nur drei – was hat das dann für eine Aussagekraft? Das beeindruckt mich überhaupt nicht.

Stahmann: Dann muss man mal Sachen entwickeln, erproben, Experimente machen. Aber nochmal zu den Freizeitheimen und den Gründen, warum manche schlecht laufen. Oft sind diese total bürokratisierten Strukturen die Ursache. Ich glaube, bei diesen Einrichtungen könnte man wirklich viel gewinnen. Das ist einfach schlichtweg ausgesessen worden. Die Altersstruktur beim Personal ist eine Katastrophe. Nicht, dass alle über 50 keine guten Sozialpädagogen sind, aber wenn da kein Mix ist von Jüngeren und Älteren, von Männern und Frauen, Migranten, wenn eine Stelle über fünf Jahre unbesetzt ist, dann ist es manchmal kein Wunder, dass die Einrichtung darniederliegt. Und wir sehen Freizeitheime, die sich hervorragend entwickelt haben. Ich finde, Politik muss diese Weiterentwicklung möglich machen. Sie muss aber auch verlässlicher Partner sein. Im Augenblick erlebe ich keine Partnerschaft, sondern nur ein großes Gerangel ums Geld. Nicht ein Wettkampf um gute Ideen. Wir müssen wirklich gucken, die Jugendförderung weiter zu entwickeln: Was wollen die Jugendlichen heute? Und eine Idee oder Vision entwickeln, was könnten sie denn morgen brauchen.

Striezel: Da hat keiner etwas dagegen. Das muss nur vor Ort entwickelt werden, mit den Initiativen, die dort tätig sind. Ich habe immer gesagt, ich möchte nicht, dass die Räume für Jugendliche verloren gehen. Aber was da passiert und wer es veranstaltet, ist für mich überhaupt nicht festgelegt. Aber wir müssen sehen, dass das Geld bei den Jugendlichen ankommt. Die Abwehrschlachten der Vergangenheit haben uns kein Stück weiter gebracht. Deshalb ist dieser Weg ein Versuch, es anders zu machen. Wir werden Ende des Jahres feststellen, ob das ein gangbarer Weg gewesen ist. Wenn nicht, müssen wir uns etwas neues überlegen. Aber wie Sie eben gesagt haben: Man muss experimentieren, versuchen. Und da der Druck jetzt entsprechend groß ist, ist auch die Ernsthaftigkeit entsprechend groß. Ich will nicht vom grünen Tisch aus entscheiden. Ich will das Know-how der ortsansässigen Organisationen, auch der Beiräte, nutzen. Sie sollen sich auch ein Stück mitverantworten.

Dokumentation: Susanne Gieffers

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen