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Ratlos bei Goldbek

Tiefe Krater zwischen Theorie und Praxis: 1. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur  ■ Von Petra Schellen

Da Problem ist, dass die Ökonomisierung schleichend kommt. Sich klammheimlich einnistet in Einrichtungen und Strukturen, in denen sie nichts verloren hat, und die sie wie ein Virus zersetzt. Und dass die Stadtteilkulturzentren, deren es in Hamburg 26 gibt und deren Mitarbeiter und Freunde sich am Wochenende im Goldbek-Haus zum ersten Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur versammelten, dem nicht viel entgegenzusetzen haben.

Denn was soll man tun gegen städtische Kennzahlen-Forderungen, gegen zermürbende Eigenanteil-Diskussionen, wie seine Exis-tenzberechtigung jenen gegenüber nachweisen, die gar nicht so genau wissen „was die eigentlich machen“, wie es Narciss Göbbel, Bremer Referent für kulturelle Stadtteilentwicklung, formulierte?

Soll man sich in die Bitterkeits-Ecke zurückziehen und die Bögen gar nicht erst ausfüllen? Soll man sich der Politik andienen und sagen: „Hey, wir sind eure Partner, wir sind stark und haben ein innovatives, kundengerechtes Produkt“, wie es Katrin Zschirnt vom Leipziger Referat Kommunikation und Stadtbüro sinngemäß vorschlug? Oder soll man sich auf die ursprünglichen Werte der Bewegung besinnen, den überschaubaren Raum gegen die Globalisierung setzen und hoffen, dass ausreichend Besucher erscheinen werden?

Fragen, die die Stadtteilkulturszene auch in Hamburg wohl überwiegend ratlos machen, denn wenig Konkretes war zu diesen Themen im Goldbek-Haus zu hören, wo eine „an sich“ produktive Mischung aus Fachreferenten und Mitarbeitern der Zentren versammelt war. Doch leider traten Theoretiker und Praktiker in keinen echten Dialog zueinander, was einerseits daran lag, dass die Referenten zu abstrakt formulierten und daher teils nicht verstanden wurden, andererseits daran, dass die Mitarbeiter der Zentren in meist passiver Erwartungshaltung verharrten und ein übers andere Mal monierten, dass die Theoretiker keine Lösungen für die akuten Probleme der Praxis böten. Eine Sprachlosigkeit, die nicht nur durch das zu große Plenum erzeugt wurde, sondern auf eine dahinter liegende Grundsatzfrage deutete: Wer ist es eigentlich, der angesichts zunehmend geforderter Eigenwirtschaftlichkeit neue Konzepte für die Zentren ersinnen muss, auf welchem Weg können die Ideen der Anfangsjahre mit den Bedürfnissen der heute vorgefundenen Stadtteilbewohner in Einklang gebracht werden?

Und welche Probleme haben die Stadtteilkulturzentren ganz akut: Kommen zu wenig Besucher, welche Art von Veranstaltungen wird nicht mehr nachgefragt, welche Ideen gibt es für eine neue Programmgestaltung? Und ist es wirklich noch, wie Albrecht Göschel vom Berliner Urbanistik-Institut formulierte, der „Nahraumbezug“, der Menschen bewegt, die Stadtteilkulturzentren aufzusuchen?

Fragen, die so konkret nicht gestellt wurden auf dem „Ratschlag“ – teils, weil die Gesprächsbeiträge in kleinteiligen Beobachtungen verharrten, vielleicht aber auch, weil man nicht eingestehen wollte, dass man angesichts der veränderten Auswahlkriterien der Besucher ratlos ist – eine Hilflosigkeit, die sich auch in Argumentationsproblemen gegenüber Kulturbehörden äußert.

Denn keine Antwort hatten die Praktiker auf Göbbels Frage, was die Zentren der Vereinzelung der Menschen durch Globalisierung entgegensetzen und ob dies bloß eine neue Form isolierter Geborgenheit im Schutzraum Stadtteilkulturzentrum sei. „Erfahrungsräume schaffen“, rief man publikumseits, als nach der aktuellen Funktion der Zentren gefragt wurde; nur im Ansatz angedeutet ward, dass in Zentren wie dem Wilhelmsburger die Diskussion um eurozentristische Werte überhaupt nicht relevant sei, da große Teile der dort ansässigen ausländischen Bevölkerung anderen Werten folgten.

Nur zaghaft erwähnt wurde auch die Möglichkeit, mit jenen in eine Wertediskussion einzutreten, die sich nicht mehr über Arbeit definieren. Und überhaupt nicht zur Sprache kam, dass es auch innerhalb manchen Zentren Toleranzprobleme zwischen den einzelnen Gruppen gibt, die einander nicht Zeit und Raum zugestehen wollen. Wie wäre es also, wenn sich – unabhängig vom ab jetzt dreimonatlich tagenden, neu gegründeten Landesrat für Stadtteilkultur, der den „Ratschlag“ organisierte und der sich als beratendes Gremium aus Vertretern von Politik, Verwaltung und Stadtteilkulturzentren versteht – Mitarbeiter der Zentren zusammensetzten, konkrete Probleme zusammentrügen, verglichen und ebenso konkrete Lösungsvorschläge erarbeiteten, unterstützt von diesmal wirklich dialogfähigen Fachleuten?

Wenn tatsächlich eine offene Wertediskussion dort stattfände, die in Programmatisches mündete, das an die Stelle des So-Weitermachens gesetzt würde? Vielleicht fände sich auch Interesse an neuen „Räumen der Toleranz“ in den Stadtteilkulturzentren, die eine neue Kultur der unspektakulären Gleichberechtigung begönnen? Und das wäre dann vielleicht – im Vokabular des Zeitgeistes argumentiert – tatsächlich ein bei Behörden gut „vermarktbares“ Konzept, dem Geld zu verweigen schlecht begründbar wäre und das – als „globaler Wert“ – nicht durch etwas so Schlichtes wie „Kennzahlen“ kontrollierbar wäre.

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