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: Normalisierung?

Eines vielleicht wird die größte Neonazi-Demo des Jahres bewirkt haben: sich bewusst zu machen, dass auch ein NPD-Verbot keine Gewähr dafür bietet, dass Neonazis künftig nicht mehr durch die Berliner Mitte marschieren. Nicht nur NPDler sind nämlich in der Lage, Hunderte von Anhängern zu mobilisieren, sondern auch die rechtsextremen Kameradschaften.

Kommentarvon UWE RADA

Gleichwohl war der Aufmarsch am Roten Rathaus ein denkbar schlechter Auftakt für eine Woche, an deren Ende die große Demo für Toleranz und Menschlichkeit am 9. November stehen soll. 1.200 Neonazis und nur 650 Gegendemonstanten ergeben vielmehr ein Bild der „Normalisierung“ solcher Ereignisse, die noch nach den ersten Aufmärschen der NPD am Brandenburger Tor undenkbar schien. Offenbar ist ein Gewöhnungseffekt eingetreten, von dem man nicht weiß, wem er am Ende nutzt: den Nazis, die von sich behaupten werden, die Straßen der Hauptstadt „erobert“ zu haben, oder aber denjenigen, denen die Überzeugungskraft einer Großdemo wichtiger ist, als jedes Mal gegen eine Nazidemo Flagge zu zeigen.

Es kann gut sein, dass die Neonazi-Demo noch einmal viele Unentschlossene mobilisiert, die bislang eher zögerten, unter dem Banner der deutschen Leitkultur für ein „anderes“ Deutschland zu demonstrieren. Dennoch bleibt die Gefahr, dass diese Großdemo im Nachhinein instrumentalisiert wird: von der CDU, die plötzlich das „zivile“ Gesicht ihrer Leitkultur beschwört, oder von Otto Schily, der den 9. November womöglich als Kundgebung für ein NPD-Verbot interpretiert.

Die schweigende Mehrheit darf es also nicht sein, die am Donnerstag auf die Straße geht. Je eindringlicher nicht gegen die NPD, sondern für die Einwanderungsgesellschaft demonstriert wird, desto weniger droht der Demo das Schicksal der Lichterketten von 1992: dass am Ende nämlich alles bleibt, wie es ist.