Krawumm!

■ Die Grünen brauchen Entscheidungshilfe: Welche Rolle spielt Kunst heutzutage in Politik und Gesellschaft? Auf der Suche nach Antworten lud die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung SoziologInnen und KünstlerInnen zum Streit ein

Der Weserburgchef Thomas Deecke erlebte den frustrierendsten Nachmittag seines Lebens, und der neuen Leiterin des Instituto Cervantes, Susana Zapke-Rodrigues, haben sich die vergangenen Stunden als ratloses Entsetzen ins Gesicht eingeschrieben. Die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung hatte mal über Kunst in der Gegenwart diskutieren lassen wollen und deshalb eine Schar von KünstlerInnen und SoziologInnen zum „Ersten Bremer Symposium“ in die Galerie Rabus eingeladen. Doch was als eine Art Positionsbestimmung geplant war, entwickelte sich am Wochenende zu einem so munteren Nebeneinanderhergerede.

Dabei ist solch ein Symposium eigentlich überaus sinnvoll. Wie selbst die Bremer Debatte um Sol LeWitts Mauer vor dem Neuen Museum Weserburg zeigt, hat zum Thema Kunst in der Gegenwart im Streitfall jeder etwas zu sagen. Doch es gibt unter diesen RednerInnen Leute, die ein bisschen gleicher sind: Als PolitikerInnen haben sie bisweilen nicht nur etwas zu sagen, sondern auch etwas zu entscheiden. Auch deshalb bezog die kulturpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Antje Vollmer, solche Prügel, als sie in Einzelfällen Einschränkungen des Denkmalschutzes vorschlug. Auch auf kommunaler Ebene gibt es viel Klärungsbedarf: Kaum steht nur irgendwo ein Altbau leer, kommt garantiert jemand mit dem Antrag, doch ein Museum oder ein Kunstzentrum dort einzurichten. Eine Diskussion über Kunst in der Gegenwart hat also (unter anderem) für die Grünen zugleich pragmatische und programmatische Motive.

Im ersten Symposium der als Reihe angekündigten Diskussionsveranstaltungen setzten die OrganisatorInnen um Bernd Gosau die Beiträge von Kunst zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Verhältnisse auf die Tagesordnung. Nach Führungen durch die Kunsthalle und die Weserburg, einem Konzert (siehe nebenstehender Bericht) und einem nicht weiter erwähnenswerten Eröffnungsvortrag geht es vor allem am Sonntag ans Eingemachte: Das „Verhältnis von Kunst und Gesellschaft heute“ und die „Zeitgenossenschaft von Kunst“ stehen auf dem Programm.

Zur Einstimmung reitet der ehemalige Mitarbeiter Niklas Luhmanns, Peter Fuchs, im Schweinsgalopp durch die Systemtheorie seines früheren Chefs. Er spricht vom Sinngestöber, vom Zappen und von Wahlfreiheit. Während die Kunst, er meint wie viele andere RednerInnen an diesem Tag wohl: die bildende „Kunst seit dem 16. Jahrhundert die Welt ins Licht anderer Möglichkeiten getaucht hat“, sei die Welt heute schon selbst ins Licht vieler Möglichkeiten getaucht. Im utopischen Sinn hält Fuchs die Kunst demnach für einigermaßen funktionslos. Aber wie in anderen Systemen auch hat sich um die Kunst ein System aufgebaut, das definiert, was Kunst ist und was nicht.

Bestimmt wollte Fuchs eigentlich auf etwas anderes hinaus, doch die „Was ist Kunst“-Frage heizt die Debatte an. Fuchs spricht von einer konditionierten Koproduktion, in der sich das System Kunst darauf verständigt hat, dass da Vincis Mona Lisa ein Kunstwerk ist. Bei Marcel Duchamps bärtiger Mona Lisa geht das in einem Teilsystem noch in Ordnung. Aber bei der rein theoretischen Weiterentwicklung „Mona Lisa in einer Kiste verpackt“ scheiden sich die Geister. Fuchs verneint klar: Keine Kunst. Dagegen sprechen der Beuys-Schüler Johannes Stüttgen und die Schweriner Museumsdirektorin Kornelia von Berswordt-Wallrabe vom Geheimnis in einem Kunstwerk und vom Weltentwurf, der sich darin versteckt. Das wiederum bringt die Soziologen auf die Palme. Der diesmal erstaunlich schweigsame Albrecht Göschel vom Berliner Institut für Urbanistik und Peter Fuchs halten das Reden vom Geheimnis für eine Diskussion auf dem Stand des 19. Jahrhunderts.

Krawumm!

Solch eine Belehrung könnte jede normale Debatte töten, doch dieses Podium kann sie nicht erschüttern. Barbara Kuon, die beim Philosophen Boris Groys studiert hat, lässt das Geheimnis nämlich durch die Hintertür noch mal hereinkommen: Sie spricht vom Neuen und von der Innovation in einem Kunstwerk, in dem der Geist des Autors noch spukt. Kuon hat sogar ein Motiv für künstlerische Tätigkeit parat: Ein Künstler lebe in Sorge um sein Begräbnis, seine Kunst sei deshalb auf Dauer angelegt, und demnach verdankt sich Kunst eines erweiterten Leichenbegriffs. Nur entscheiden auch andere dabei mit, ob sich diese Mühe lohnt. Ganz nach Groys gibt es profane Räume und Kunsträume, also vor allem Museen. Kuon: „Die Kunst der Moderne wurde für den musealen Gebrauch geschaffen.“ Dort nämlich finde Kunst als Aufwertung des Neuen und Abwertung des Alten statt. Kuon sieht bei ihrem Balancieren auf dem Theoriehochseil keine wachsende Gleichgültigkeit der Kunst gegenüber, sondern sogar immer stärkere Attacken. Doch gerade wenn die Kunst als Feind der Gesellschaft auftritt und die Gesellschaft als Feind der Kunst, „stehen die Chancen für Kunst nicht schlecht“.

Solche Überlegungen lassen bei Peter Fuchs plötzlich ganz simple individuelle Wahrnehmungen zum Vorschein kommen, die nach seiner Theorie nicht (er würde korrigieren: nur eingeschränkt) vermittelbar sind. Von neuen Chancen zu innovativer Kunstproduktion will er nichts wissen. Im Gegenteil: „Wenn Sie sich lange mit Kunst beschäftigen, dann überkommt Sie eine tödliche Langeweile.“

Der Mann ist satt, die Frau noch nicht. Ohne große Aussicht auf Einigung stellen beide ihre Behauptungen gegeneinander und rütteln ein wenig an den Thesen des anderen herum. Viele ZuhörerInnen sind zunehmend genervt. Und als der Beuys-Schüler Stüttgen mit Bedacht und die Groys-Schülerin Kuon unbedarft auch noch einen Theorieumweg zu Adolf-Hitler-als-Künstler gehen, verlässt eine sogar wutentbrannt den Saal.

Noch bemerkenswerter allerdings ist, dass das ökonomische System um die Kunst beim Symposium der grünennahen Böll-Stiftung so gut wie keine Rolle spielt. Gerade die hier im Mittelpunkt stehende bildende Kunst hat neben der künstlerischen Selbstäußerung noch immer auch den Charakter einer Geldanlage. Besonders in Deutschland kommt eine immense staatliche Förderung mit Auswirkungen auch auf einige der anderen Sparten, nämlich auf die E-Musik, das Musik-, Sprech- und Tanztheater hinzu. Andererseits verdanken wir die meisten Diskussionen über Kunst, Kunstförderung und die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft der Debatte über Sparpolitik des Staates. Beim Symposium in der Galerie Rabus hatte es den Anschein, als gäbe es das alles gar nicht. Das ist das Erschreckende daran. Christoph Köster