piwik no script img

Zu wenig Richter für Reform

Bei der Strafprozessreform verzichtet Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) auf weit reichende Neuerungen. Berufungsverfahren bleibt nahezu ungeschoren

FREIBURG taz ■ Schon seit Monaten wird über die Reform von Zivilprozessen gestritten. Wie aber Strafverfahren verändert werden sollen, hatte die Bundesregierung offen gelassen. Entgegen den Erwartungen in Justizkreisen wird es wohl keine neue „Jahrhundertreform“ geben. Vielmehr wird sich Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) auf einige eher unspektakuläre Verbesserungen konzentrieren. Eine Arbeitsgruppe von SPD und Grünen berät nun die Details.

Ursprünglich wollte die Koalition ein Missverhältnis geraderücken, das auch viele Juristen stört: Wird ein vermeintlicher Dieb vom Amtsgericht verurteilt, stehen noch zwei Kontrollinstanzen zur Verfügung. In der Berufung wird der Prozess inklusive Beweisaufnahme wiederholt, zudem können in der Revision Rechtsfehler geprüft werden.

Dagegen gibt es bei schweren Straftaten, die vor dem Landgericht verhandelt werden, nur eine Kontrollinstanz, die Revision. Obwohl hier deutlich härtere Strafen drohen bis hin zum „Lebenslänglich“ bei Mord, ist eine Wiederholung des Prozesses mittels Berufung ausgeschlossen.

Noch vor einem Jahr sympathisierte die Justizministerin daher mit der Idee, ein neues einheitliches Rechtsmittel einzuführen. Dabei wären alle Verurteilungen (nur noch) auf konkrete Rechts- und Beweisfehler überprüft worden. Bei schweren Straftaten wäre so die Kontrolle der Urteile ausgeweitet, bei leichten Taten eingeschränkt worden. Ein Modell, das die Koalition nicht mehr verfolgt. Denn ein Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht hat gezeigt, dass die aktuelle Rechtslage viel rationaler ist, als sie auf den ersten Blick scheint.

Gerade weil ein amtsrichterliches Urteil noch einmal voll überprüft werden kann, wird bei einfachen Fällen schnell und auch etwas oberflächlich verhandelt. Die meisten Angeklagten akzeptieren das Urteil dennoch, nur in fünf Prozent der Fälle wird Berufung eingelegt.

Nach der Untersuchung des Instituts sind es vor allem „komplexere“ Fälle, bei denen dann in zweiter Instanz gründlicher verhandelt wird – und immerhin bei 50 Prozent der Fälle ein anderes Urteil erfolgt. Schlussfolgerung der Gutachter Monika Becker und Jörg Kinzig: Die Berufung ist ein „hocheffizientes Rechtsmittel“. Würde sie abgeschafft, müssten tausende neue Richter eingestellt werden, damit an den Amtsgerichten gründlicher verhandelt werden kann. Diese Botschaft hat man auch in Berlin verstanden. In den bisher bekannt gewordenen Plänen von Herta Däubler-Gmelin ist die Berufung relativ ungeschoren geblieben. Auch künftig wird die „vollständige Überprüfung“ von Urteilen des Amtsgerichts möglich sein, heißt es.

Allerdings soll die Berufung „effizienter“ werden. Der Verurteilte müsste demnach künftig begründen, was er konkret moniert. Aber selbst diese harmlos wirkende Begründungspflicht ist umstritten. Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, hat angekündigt, dass seine Fraktion diesen Punkt ablehnt. Die Grünen fürchten, dass sich die Berufung früher oder später auf die in der Begründung genannte Kritik beschränken wird.

Doch Änderungen bei den Rechtsmitteln spielen bei den Reformüberlegungen längst nicht mehr die Hauptrolle. Däubler-Gmelin will die Gerichtsverhandlungen nun vor allem dadurch entlasten, dass die Beschuldigten und ihre Verteidiger im polizeilichen Ermittlungsverfahren mehr Rechte bekommen. Die Überlegung ist nachvollziehbar. Wenn ein Verteidiger schon beim polizeilichen Verhör der Zeugen anwesend sein kann, werden viele Zeugenvernehmungen vor Gericht verzichtbar. Besonders sinnvoll ist ein derartiger Verzicht auf Mehrfachvernehmungen, wenn es um die Opfer geht.

Zudem sollen Strafprozesse „kommunikativer“ werden. Das Gericht soll sagen können, was es von einem Fall hält, ohne sich den Vorwurf der Befangenheit einzuhandeln. Verteidigung und Staatsanwaltschaft könnten sich dann auf die Punkte konzentrieren, auf die es dem Gericht ankommt. CHRISTIAN RATH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen