: Ölverschmierte Enten, blutverschmierte Hemden
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt heute über Benettons Anzeigenkampagne und das Elend der Welt – auf Veranlassung des „Stern“
Ökonomisch war die Schockwerbung der Firma Benetton ein Flop, die Gerichte beschäftigt sie aber immer noch. Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht zur Frage, ob Werbung an das Mitleid der Konsumenten appellieren darf. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte dies als oberstes deutsches Zivilgericht verboten.
Anfang der Neunzigerjahre verblüffte die italienische Textilfirma mit einer Aufsehen erregenden Plakat- und Anzeigenserie. Großformatig wurde das Elend der Welt präsentiert: eine ölverschmierte Ente, das blutige Unterhemd eines in Bosnien erschossenen Soldaten, schwer arbeitende Kinder in der Dritten Welt. Für besondere Empörung sorgte ein Hintern, der mit dem Stempel „H.I.V.-POSITIVE“ bestempelt war. Produkte der Firma Benetton waren auf den Motiven nicht zu sehen, nur das Firmenlogo am unteren Bildrand zeigte, dass es sich hier um Werbung für bunt-brave Strickware handelte. Auf Klage der Zentrale gegen den unlauteren Wettbewerb verbot der Bundesgerichtshof 1993 und 1994 vier Motive der Benetton-Kampagne. Es sei „sittenwidrig“, an das Mitleidsgefühl der Verbraucher zu appellieren, so der BGH, um dieses dann für eigene ökonomische Zwecke auszunutzen. Auch der Verweis auf die Meinungsfreiheit konnte Benetton nicht retten.
Vielmehr urteilte der BGH, dass die Plakatserie „zur Auseinandersetzung über das aufgezeigte Elend nichts Wesentliches“ beitrage. Im Falle des H.I.V.-Motivs nahm das Gericht sogar an, dass hier die Menschenwürde von Aidskranken verletzt wurde. In der juristischen Öffentlichkeit ist diese Entscheidung überwiegend kritisiert worden. Letztlich müsse der Markt über Fragen des guten Geschmacks entscheiden und nicht die Gerichte. So erinnerte der Hamburger Rechtsprofessor (und FDP-Politiker) Ingo von Münch an eine Calvin-Klein-Plakatserie, die für Kinderunterwäsche warb. Sie war nach Protesten, die sie als „Aufforderung zur Kinderpornografie“ ansahen, in den USA schnell wieder eingestellt worden. Auch Benetton-Händler berichteten von massiven Umsatzeinbußen infolge der umstrittenen Schockwerbung.
Verfassungsbeschwerde hat nun allerdings nicht der Textilhersteller erhoben, sondern die Zeitschrift Stern. Ihr war in zwei Entscheidungen der weitere Abdruck von Benetton-Schockmotiven ausdrücklich verboten worden. Die Juristen des Verlages Gruner + Jahr sehen nun neben der Meinungsfreiheit auch die Pressefreiheit verletzt. Es sei einem Presseunternehmen nicht zuzumuten, komplizierte wettbewerbsrechtliche Abwägungen zu treffen, bevor es eine Anzeige abdrucke.
Die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, der gute Chancen eingeräumt werden, wird erst in einigen Wochen verkündet. CHRISTIAN RATH
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