Ambition und Geschichte

Nicht direkt Lollapalooza: Das tapfere Musikfest LudwigsLust IV  ■ Von Alexander Diehl

Die Ludwigstraße gibt es noch, die vakante Gewerbeimmobilie, wo 1998 und 1999 die ersten LudwigsLusts stattfanden, ist indes einem Wohnprojekt gewichen, und für das ambitionierte Festival kam es zu einer kleinen Odyssee. 2000 folgte man einer Einladung nach Stuttgart, LudwigsLust IV findet jetzt wieder in Hamburg statt, einige hundert Meter nordöstlich des alten Orts, im Fundbureau an der Sternbrücke. Und das könnte sich – so es denn gelingt, die bisweilen unberechenbaren akustischen Verhältnisse sowie Irritationen durch passierende Gleisfahrzeuge in den Griff zu kriegen – als gute Wahl erweisen; zu wünschen wäre, dass mit dem wohl gewonnenen Platz auch die Besucherzahlen wachsen. Schwitzendes Gedränge und Anstehen beim Bierholen auf einem Festival, das sich erklärtermaßen „ungewöhnlichen Querverbindungen“ verschrieben hat, wäre ja auch mal was.

Das Programm jedenfalls verspricht reizvolle Konstellationen: Noiserock und 60s-inspiriertes Loungeverständnis, an Minimalismus und Gattungs-Crossover geschulte Neue Musik, ausdrücklich nicht kontemplative Improvisations-Elektronika und gar eine eigene Big Band gibt es an drei Abenden zu hören. Den Anfang machen die Berliner Perlon, deren Perkussionist Burkhard Beins schon vor zwei Jahren bei LudwigsLust dabei war. Perlon versprechen verdichtete Klanglandschaften und Noise-Jazz, wollen dabei mit „Ambient-Sülze“ nichts zu tun haben und ziehen das Gebilde dem solistischen Alleingang vor. Danach spielt mit Uri Geller beinahe eine (Nischen-) Supergroup: Sänger Michel Chevalier stand den Dijoner Noise-Ro-ckern Hash Over vor, Schlagzeuger James David Hassler drosch bei den sumpfgasgetriebenen Lärmern von Stau auf wehrlose Felle ein. Um einen nicht aktenkundigen Keyboarder komplettiert, geht das Trio kurzweilig rumpelnd zu Werke, die VeranstalterInnen lehnen sich gar mit einem Helgoland-Verweis aus dem Fenster.

Der Freitag paart ein gutes Stück waghalsiger: Mit Arnold Dreyblatt ist – und das ist hier keine Koketterie – eine veritable Kapazität für Musikgeschichte wie derjenigen manch anderer Künste seit den 70er Jahren zu Gast. In seiner Biographie tauchen Namen wie John Cage und Morton Feldman zunächst am Rande auf; er firmierte als Assistent und Archivar des Minimalismus-Pioniers LaMonte Young und entwickelte einen eigenen musikalischen Ansatz für Saiteninstrumente, der in den vergangenen Jahren u.a. auf Betreiben des notorischen Jägers und Sammlers Jim O'Rourke wieder entdeckt und veröffentlicht wird. (In den jüngst entflammten Disput zwischen Young und dem früheren Mitstreiter Tony Conrad über Fragen von Urheberschaft und Werkkontrolle schaltete sich Dreyblatt soeben via Leserbrief an das Musikmagazin The Wire ein, in dem er zu Entauratisierung und Besonnenheit zwischen den verhärteten Fronten aufrief.)

Dreyblatt beschränkte sich dabei nie auf Musik, er studierte Film und begann Mitte der 70er Jahre mit Videoarbeiten, assistierte Nam June Paik, beschäftigte sich mit verschiedenen Performance-Formen über Disziplinengrenzen hinweg. In den 80er Jahren bereiste Dreyblatt Europa und zog nach Berlin, wo er bis heute mit Unterbrechungen lebt. Ausgehend von Nachforschungen über die osteuropäisch-jüdische Herkunft seiner Familie wandte er sich, bald auch mit Mitteln wie etwa Hypertext, zunehmend umfangreicheren Projekten zum zentralen Thema Erinnerung zu: „Who's Who“, „Memory Arena“ (die in den 90er Jahren auch in Hamburg installiert war), jüngst das „Memory Project“. Jetzt wird es wiederum um Musik gehen: Mit Dirk Lebahn und Rob Gutowski bringt Dreyblatt Saltando/Registration zur Aufführung, ein Stück für präparierte Kontrabässe, E-Bass, Theremin und Drehleier.

Die darauf folgende Formation heißt Agentenmusik und spielt mit Klischees, die ebensolche umgeben: Vier Bremer, Martinigläser- und Verfolgungsjagd-Ästhetik mit dem gewissen Etwas. Den Abschluss bilden dann am Sonnabend die FestivalmacherInnen selbst: Dodo Schielein, Christian Ribas und Clemens Kaatz sind Teil der LudwigsLust-BigBand. Jeweils ein Stück der drei wird uraufgeführt: „Bauklötze“ und „Splitter“, Clusterflächen und Wiederaufgreifen von zuvor Gesampeltem, ritualisiertes Anhäufen atomisierten Klangmaterials in großer Besetzung.

Perlon, Uri Geller: Do; Arnold Dreyblatt/Dirk Lebahn/Rob Gutkowski, Agentenmusik: Fr; LudwigsLust-BigBand: Sa, jeweils ab 21 Uhr, Fundbureau