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Der Schizo scrabbelt

„Summer of Sam“: Spike Lees Film erzählt den New Yorker Serienkillersommer 77

Es wird viel geschwitzt in dem neuen Film von Spike Lee. Der „Summer of Sam“ war eine der heißesten in der Geschichte der USA. Die unerträgliche Hitzeglocke, die 1977 über New York lag, fühlt sich bei Lee jedoch an wie eine biblische Plage: Die Luft ist schmierig, schwer, und der Dreck geht einfach nicht runter.

Wenn sich in „Do the Right Thing“, immer noch Lees bestem Film, das quälende Konstrukt des Melting Pot dampfkesselartig entlädt, hat der Riot zumindest kurzzeitig eine reinigende Kraft. Anders in „Summer of Sam“: Im dumpfen Katholizismus der italoamerikanischen Bevölkerung fressen sich Frustration und Wut über die Unmöglichkeit von Absolution (immer sexuell konnotiert) nach innen – ein schleppender Selbstzerstörungsprozess, an dem Freundschaften zerbrechen (und letztlich auch ein Teil der Community). Bezeichnenderweise hängen Vinnie, Richie, Brian, Anthony und Joe tagtäglich in der Sackgasse vor ihren Häusern rum. Das verbindet.

Der reale Fall des David Berkowitz, der es in diesem denkwürdigen Sommer von 77 mit seiner 44er Bulldog auf Pärchen abgesehen hatte, interessiert Lee nur als narratives Element: Mit seinen Scrabble-Steinen legt der Killer „Son of Sam“ imaginäre Zwischentitel, die Nachrichten über die jüngsten Opfer strukturieren den Film, der sich steigernde Wahn des Schizos fungiert als Fieberthermometer für acht Millionen Menschen.

„Evil rückwärts ausgesprochen“, sagt Richie im Film, „heißt live!“ Am Siedepunkt der hysterischen Anspannung im New York 77 offenbart diese schlichte Umkehrgleichung eine bittere Wahrheit. Die groteske Panik angesichts von Berkowitz’ Taten erhält eine aggressive Law-and-order-Dynamik: Jeder ist ein potenzieller Täter. Die Gemüter kochen hoch. Schweiß wird aber auch vergossen im Angesicht einer fortschreitenden Identitätsbildung, schließlich spielt „Summer of Sam“ in der Formulierungsphase der zwei Jugendkulturen, die die folgenden zwanzig Jahre maßgeblich prägen sollten: Disco und Punk. Studio 54 und CBGB. Affirmation/Hedonismus und Gegenkultur/Rebellion. Der aufrichtige Versuch, die Kluft zu überwinden, scheitert grotesk.

Als Vinnie und seine Braut das Konzert ihres Freundes Richie im CBGB besuchen wollen, erscheinen sie in voller Disco-Montur. Von den umstehenden Punks werden sie begafft wie im Zoo, sodass beide schließlich ins Studio 54 weiterziehen. Aber auch dort bleiben sie außen vor: Der Schmutz der arbeitenden Klasse lässt sich mit einem Travolta-Strampelanzug nicht verbergen, das Portal in die Glamourwelt der weißen Oberschicht bleibt für sie geschlossen. Vor zehn Jahren hätte Lee hier noch grandios anknüpfen können, bei „Summer of Sam“ münden jedoch zu viele offene Enden in ein diffuses Gesellschaftsporträt, mit dem sich Spike Lee mit allen angeschnittenen Themen die Finger verbrennt.

Den einzig wirklich interessanten Aspekt in diesem konfusen Dramolett zwischen „Saturday Night Fever“ und „Boogie Nights“ wirft Spike Lee gegen Ende auf. „Ich danke Gott“, sagte eine Afroamerikanerin in das Mikrofon des Reporters John Jeffries, gespielt von Lee selbst, „dass es ein Weißer ist, der in der Bronx rumläuft und Weiße tötet. Können sie sich vorstellen, was hier los wäre, wenn das ein Schwarzer wäre?“ Die Antwort bleibt Spike Lee schuldig, dabei war gerade der Fall „Son of Sam“ für diese Fragestellung prädestiniert. Aber Lee weiß, dass er als afroamerikanischer Agitator in Hollywood längst keine Rolle mehr spielt, die Denzelwashingtonisierung ist nicht mehr rückgängig zu machen. Mit einem kleinen In-Joke am Rande beweist er immerhin noch etwas Galgenhumor. Als die resolute Afroamerikanerin schließlich auch Jeffries anschnauzt, dass sie sich ja wundere, dass er überhaupt noch zu „Ihnen“ gehöre, quittiert der das mit einem dreisekündigen verstörten Lächeln, bevor die Kamera endlich abgeschaltet wird. ANDREAS BUSCHE

„Summer of Sam“. Regie: Spike Lee. Mit John Leguizamo, Adrien Brody, Mira Sorvino u. a. USA 1999

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