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n Hat jeder Deutsche seinen Seneca gelesen?Humana oder Humanismus

betr.: „CDU: Einwanderer müssen römisches Recht kennen“, taz vom 7. 11. 00

Sollte ich doch tatsächlich noch CDU-Wähler werden? Zumindest ihre äußerst sympathische Kulturpolitik würde es mir schmackhaft machen: Alle RTL-2-Zuschauer, Comedy-Fans und die allseits gerühmten Stammtischrunden werden zwangsverpflichtet zu mindestens vierwöchigen Seminaren in „Big Brother“-Containern mit den Unterrichtseinheiten: Deutsch für TV-Süchtige, Unterschied zwischen Humana und Humanismus, Antike für Anfänger, Waren alle Griechen schwul? Aufklärung für Aufgeklärte. Dann würde ich mal CDU wählen. RUPERT HAAG, Berlin

Zuwanderer sollen Humanismus und antike Philosophie „akzeptieren“, meint die CDU. Also: Ja zum Kulturimport. Aber wieso, bitte schön, nur Zuwanderer? Hat denn schon jeder Deutsche seinen Seneca gelesen? „Von der Kürze des Lebens“ kostet bei Reclam nur 4 Mark. Die wenigen Seiten sind aber wirtschaftspolitisch schrecklich unkorrekt und passen so gar nicht zur New Economy. Das mag wohl daran liegen, dass die New Economy nicht zu den Menschen passt. „Vivere tota vita discendum est et, quod magis fortasse miraberis, tota vita discendum est mori.“ Das ist doch die reine Subversion! Weiter so! GOETZ KLUGE, München

Das Problem mit dem Stichwort „Leitkultur“ ist nicht, wie sie zu definieren wäre, sondern die Unterstellung, dass Zuwanderer unter Umständen einer anderen „Kultur“ anhängen könnten, die mit dem Leben in Deutschland nicht vereinbar wäre.

Wovor, glaubt die CDU, haben die Wähler denn Angst? (Noch) kann man in Deutschland einigermaßen rechtstaatliche Strukturen, eine gewisse öffentliche Infrastruktur, mehr oder weniger gerechte Löhne, eine gute Ausbildung und dergleichen erwarten. Es ist doch nicht so, dass Zuwanderer dieses nicht akzeptieren oder unterlaufen, vielmehr wird es ihnen vorenthalten! Desgleichen gelten hier, so viel ich weiß, Religionsfreiheit und andere „kulturelle“ Freiheiten für Immigranten genauso wie für Eingeborene. Andere Dinge wiederum, etwa nazistische Umtriebe oder Kokainhandel (die wohl auch zur gegenwärtigen deutschen „Kultur“ gehören), sind sowieso nicht erlaubt. PERDIDA PETRI, Hamburg

Ich habe mich in jedem Land der Welt an die jeweiligen Gesetze zu halten, das ist selbstverständlich. Schwer fällt dies allerdings unseren Bundestagsabgeordneten im eigenen Land. Sie haben anstrengende Diskussionen darüber zu führen, wie sich Ausländer der deutschen Leitkultur anzupassen haben. Und darüber haben es doch viele Abgeordnete total „vergessen“, sich nach ihrem Umzug nach Berlin dort auf dem Einwohnermeldeamt anzumelden. Dann wäre nämlich für viele eine Zweitwohnungsteuer fällig geworden – ein Gesetz, das die Abgeordneten selbst verabschiedet haben. Doch bei den knappen Diäten wollen wir ihnen das mal durchgehen lassen. Wichtiger ist doch, dass die Zuwanderer sich an unsere Gesetze halten. HARALD PAPENFUSS, Erfurt

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