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Durch die Halbwüste

Old Shatterhand has just left the building: Im Llana Estacado fand zwischen bayerischen Flaggen, Winnetou-Häusern und Büffelkunstwerken das erste amerikanische Karl-May-Symposion statt

von FALKO HENNIG

Hitze jedenfalls gibt es tatsächlich im Llano Estacado, auch wenn Karl May in seiner Beschreibung der Halbwüste etliche Fehler unterlaufen sind – ist doch das Llano keine Sandwüste, sondern eine früher wild bewachsene, jetzt landwirtschaftlich genutzte Hochebene. Und die Landwirtschaft ist es, die einerseits verantwortlich gemacht wird für die derzeitige Dürre und doch am meisten leidet unter diesen heißesten Herbsttagen seit Ewigkeiten.

Kein lebendiges Wesen ist zu sehen, nur fünf Kleinbusse fahren anlässlich des ersten Karl-May-Symposions außerhalb von Europa über die Ebene, die durch die immergleichen amerikanischen Straßenmöbel, durch die überall mit Holzmasten gespannten Stromdrähte noch trostloser und leerer wirkt, als sie jemals gewesen sein kann, bevor Europäer hier herkamen, vielleicht sogar bevor Coyote, Klapperschlange und Indianer sich hier niederließen.

Die fünf Kleinbusse der Texas-Tech-Universität halten an einem braun gerosteten Eisenhaus; „Stahlbüffel“ heißt dieses Objekt, das wie eine unförmige braune Kugel auf Stelzen aussieht. Wie in den Kulissen für „Das Cabinett des Dr. Caligari“ findet man darin keinen rechten Winkel. Der zur Begrüßung der deutschen Gäste anwesende Künstler schweißt daran weiter, wenn er Zeit hat. Vor Blitzen hat er keine Angst, Faradayscher Käfig. Blick auf den kleinen Stausee im Canyon. Niemals, sind sich die Teilnehmer einig, würde ein solches Haus in Deutschland möglich sein: die Bauvorschrif-ten . . . Weiterfahrt, schräg gegenüber steht noch ein Haus dieses Mannes, ein riesiges Schneckenhaus.

Weiter geht es in das Dörfchen Crosbyton, dessen Heimatmuseum eine Patenschaft mit dem Radebeuler Karl-May-Museum eingegangen ist. Resultat der Verbindungen mit Deutschland ist ein Karl-May-Schrank im auch sonst überraschend gut ausgestatteten Haus; ein selbst gebasteltes Auto, Schreibmaschinen, alte Setzerei- und Büroausstattungen, sogar ein Foto der ersten in Lubbock gegrillten Antilope von 1909 sind zu sehen. Gegenüber hat ein Bibelfanatiker ein Dinosauriermuseum eingerichtet, mit eigener, auf der Heiligen Schrift beruhender Datierung.

17.30 Uhr Fototermin vor dem Crosby County Court House, wohl noch nie in seiner Geschichte hat das Örtchen eine solche Menschenmenge gesehen. Ein dicker Lokaljournalist knipst das Ereignis für die Zeitung. Wieder zurück im kühlen Saal, der Commissioner, eine Art Landrat, mit den üblichen freundlich gemeinten leeren Worten. Mappen an die Karl-May-VIPs werden ausgegeben. Der Radebeuler Direktor hofft, dass die Freundschaft zwischen den Museen weiter gedeiht, Mrs. Wheeler vom Crosby County Pioneer Memorial Museum and Civic Center kriegt noch ein Video.

Es folgt eine Dankesrede von Mae Smith-Ericson, der uralten Nachfahrin von Hank Smith, einem der Pioniere dieser Gegend. Sie kriegt vom Präsidenten der Karl-May-Gesellschaft eine bayrische Flagge, Karl-May-Bücher, eine Postkarte mit dem „Café Bauer“ in Berlin, wo Karl May immer gesessen habe, und natürlich Pierre-Brice- und Lex-Barker-Poster.

Die Busse füllen sich wieder mit Deutschen, das Anwesen der gerade beschenkten Dame wird angesteuert. Ihr gehört gleich der ganze Canyon, ein Gebiet so groß wie ein europäischer Kleinstaat. Die fünf Vans halten an dem Haus. Die alte Dame, 85 Jahre müsste sie jetzt sein, begrüßt jeden der circa fünfzig Gäste mit Handschlag auf der Betonfläche, die demnächst das Karl-May-Zimmer werden soll.

In dem Haus hängt eine Ehrenurkunde der Kölner Indianerfreunde, in einem nächsten großen Raum ist ein Swimmingpool so groß, dass manche Schwimmhalle stolz darauf wäre. Mae, wie sie von allen genannt wird, kann entzückend lächeln, auch wenn die Zähne nicht mehr vollständig sind. Der echte Geist des Lllano Estacado. Sie hat ein Faible für Eulen, die ganze Schränke füllen und in dem riesigen Haus verteilt sind, und natürlich für Karl May.

Wobei sie zugibt, nie eine Zeile von ihm gelesen zu haben, aber nach dem, was ihr die deutschen Freunde von Westernvereinen erzählt haben, hat sie sich ihr ganz eigenes Bild von Old Shatterhand gemacht. Nach allem, was ihr zugetragen wurde, glaubt sie, dass ihr eigener Großvater, einer der Pioniere dieser Gegend, dieser Old Shatterhand gewesen sein muss.

Es geht quer durch den Canyon bis zu einem von Meredith McClain erbauten Indianerhaus, dem Winnetou-Haus. Trommelnde Indianer lagern am Rande des Canyon, ich befrage sie zu Peyote. Viele von ihnen seien im Gefängnis, die Einnahme dieses halluzinogenen Kaktusses sei ja verboten, sie tanzen dazu die ganze Nacht. „Ekupaté“ heiße „Hallo!“ auf Apatschisch. Es gibt Bier und Tequila, ein riesiges Lagerfeuer wird entzündet, und bald gibt es gigantische Steaks mit Kartoffeln.

Rückfahrt durch die Nacht, sitze in der Nähe von Prof. Wolff, dem Vorsitzenden der Karl-May-Gesellschaft, der behauptet, er sei in diese Position gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Diese unterschiedlichen Leute in der Gesellschaft, das ist es, was ihm gefällt. Einer saß da bei der Versammlung in Lederkleidung und mit einem Messer, und dann so einer wie Wollschläger, der ja eher ein spanischer oder französischer Typ von Intellektuellem sei, in Essays ganz groß. Downtown Lubbock? Das sei hier schon, am Civic Center und Hotel. Wir sind da, in unserem Holiday Inn.

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