zwischen den rillen: Der Solitary Man: Johnny Cash auf Augenhöhe mit seinem Gott
Liebe, Gott und Dignität
Ein junger Outlaw sein kann jeder. Zwei, drei wilde Jahre machen sich noch in der angepasstesten, strebigsten Lebensgeschichte gut. Aber sein Leben nach seinen eigenen Regeln und nach seinem eigenen Ehrenkodex leben, durch den Unrat der Welt waten, alt sein, krank sein und dennoch nicht zu Kreuze kriechen und klein beigeben, das ist ganz etwas anderes. Das Leben von Johnny Cash legt Zeugnis ab davon.
1994 erschien „American Recordings“, produziert von Rick Rubin. Da stand Johnny Cash, endlich befreit von kitschigen Arrangements und Nashville- Country-Schmalz, allein, eine Gitarre und eine Stimme, und die Stimme hatte mehr Gewicht als die ganze andere Countrymusik zusammen. „I’m like a soldier getting over the war, like a young man getting over his crazy days, like a bandit getting over his lawless ways, I don’t have to do that any more“, sang Johnny Cash. Der rastlose Mann schien Abstand gefunden zu haben, Gleichmut. Aber dann sang er auch „Got a long line of heartaches, I carry it well, the list of lives I’ve broken reaches from here to hell.“ Da war er wieder, der ewige Sünder, der Unglücksbringer, der düstere Mann in schwarz. Seine Lieder, ganz gleich, ob von ihm selbst oder von anderen geschrieben, waren die Gebete eines Mannes, der vor seinen Herrn tritt und Erlösung sucht, der nicht um Gnade bittet, der ohne Lüge, ohne Verschweigen und ohne eitlen Bekenntniseifer sagt, was war und was ist, klar und ohne Umschweife, mit einer Stimme, auf der man laufen kann.
„Unchained“ setzte die Bilanz fort, Cash sang vom „Southern Accent“ und sang „Jesus, Jesus, my love wasn’t true, now all I have is you“, und nichts daran war schnulzig oder lachhaft. Sogar dem Heuler „Memories are made of this“, sonst nur vom charmanten Leichtfuß Dean Martin zu ertragen, verlieh Cash Wucht und Lebenstiefe.
Jetzt hat Johnny Cash seine Bilanz abgeschlossen und gekrönt, mit „Solitary Man“. So geht das los: „I won’t back down, no I won’t back down.“ Geschrieben hat das Tom Petty, der auch mitsingt, aber die Substanz ist reiner Johnny Cash, dessen Leben und dessen Stimme den Wörtern eine Schwere und Bedeutung einhauchen, die jeden anderen als Luftikus erscheinen lassen. Neil Diamonds „Solitary Man“, eine Klage über die vergebene Mühe des Liebens, verwandelt Cash in eine stolze, entschlossene Standortbestimmung: „Until love can’t find me and a girl who’ll stay and won’t play games behind me, I’ll be what I am: a solitary man.“
Cash singt über das, was zählt, mit Krempel hält er sich nicht auf, er hat keine Zeit zu verschwenden. Wahrhaftigkeit ist wichtig, Liebe ist wichtig. Die Stimme, dieser unglaubliche Bariton, wird weich und zart und fragt: „Would you bathe with me in the stream of life when the moon is full?“ Wer da nicht Ja sagt, dem ist nicht zu helfen. Eine nicht minder große Freude ist es, zu hören, dass die Kraft von Johnny Cash noch dicke reicht, um der abgeschleckten, mit all-american Anständigkeit hausieren gehenden Würgmusik von Garth Brooks und ähnlichen Schleimlappen mit dem milde höhnischen und von Cash selbst geschriebenen „Country Trash“ gut gelaunt und erstaunlich entspannt eins an die Löffel zu geben.
„Solitary Man“ zeigt Johnny Cash auf dem Höhepunkt eines mythenreichen, wahr gelebten Lebens. Er ist auf Augenhöhe mit seinem Gott, aber das würde er selbst wohl nicht so sagen. Im Booklet bedankt er sich beim „Master of Life“ sogar noch für die schwere Krankheit, die ihn jahrelang schüttelte, und Demut bringt er auch seinem Produzenten Rick Rubin entgegen: „I don’t sound as good to me as he says I do, but I thank him anyway. This album has been a long time coming, and I feel another in there somewhere.“ Beten gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, aber dafür, dass Johnny Cash vielleicht noch eine Platte besingt, kann man ganz eigensüchtig auf die Knie gehen.
WIGLAF DROSTE
Johnny Cash: American III: Solitary Man (Columbia)
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