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Pannenserie im Kabinett Stolpe

Der Ausbruch des Sexualtäters Frank Schmökel bringt das Brandenburger Kabinett von Mafred Stolpe in neue Nöte

BERLIN taz/ddp ■ Brandenburgs Landesvater kann aufatmen. Wenige Tage nach der Festnahme des Gewaltverbrechers Frank Schmökel tritt Manfred Stolpe seinen aufgeschobenen Urlaub an. Vermutlich hofft der Ministerpräsident nichts sehnlicher, als dass in der Heimat nach der Hektik der vergangenen Wochen wieder Ruhe an der politischen Front einkehrt.

Die Flucht des Sexualtäters Frank Schmökel aus einer Brandenburger Nervenklinik war der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Serie von Pannen, Affären und Querelen in der SPD-CDU-Koalition unter Führung Stolpes. Für den einst auf märkischem Boden unangefochtenen Sozialdemokraten, der von 1994 bis 1999 an Oder und Havel mit absoluter Mehrheit das Zepter schwang, sind die häufigen Negativ-Schlagzeilen eine neue Erfahrung. Innerhalb weniger Monate büßte der – neben Sachsens „König Kurt“ – dienstälteste Kabinettschef im Osten Deutschlands zwei Minister ein. Zwei weitere stehen derzeit schwer unter Beschuss.

Im Sommer warf sehr zum Bedauern Stolpes die oberste Kassenwartin Wilma Simon (SPD) nach ständigen Attacken aus der Union resigniert das Handtuch. Die ausgewiesene Expertin beklagte mangelnde Offenheit am Kabinettstisch. Zugleich warf sie dem Koalitionspartner Defizite bei der Verlässlichkeit vor. Anfang Oktober mussten dann mit dem Rücktritt von Kultur- und Wissenschaftsminister Wolfgang Hackel, der seine wirtschaftliche Unabhängigkeit über das politische Amt stellte, auch die Christdemokraten Federn lassen.

Längst nicht ausgestanden ist die Affäre um Justizminister Kurt Schelter (CDU), dem pikanterweise ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit vorgeworfen wird. Da der Bayer bisher nicht die Spur von Reue zeigt, droht ihm nun sogar ein Verfahren vor dem Richterdienstgericht. Und ob Sozialminister Alwin Ziel (SPD) die bundesweit schlagzeilenträchtige Schmökel-Geschichte unbeschadet übersteht, ist ebenfalls offen.

Vertreter von CDU und PDS schlossen gestern Rücktrittsforderungen an den Minister nicht mehr generell aus. Dies sei von der Aufklärung der Fluchtumstände abhängig. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte, sollte sich bei der Untersuchung herausstellen, dass es im Maßregelvollzug „Riesenschlampereien“ gegeben habe, müsse Ziel zurücktreten.

Aber auch Schönbohm selbst, der seine einst zerrüttete Partei aus einer Dauerkrise ad hoc auf die Regierungsbank geführt hatte, bleibt nicht völlig ungeschoren. Mit der umstrittenen Gemeindereform und der geplanten Zusammenlegung mehrerer Polizeipräsidien beißt der Star der märkischen Union bei Kommunalpolitikern aus den eigenen Reihen auf Granit.

Zumindest Irritationen hat der Exgeneral in der Partei mit seinem klaren Nein zur Teilnahme an der Berliner Demonstration für Menschlichkeit und Toleranz ausgelöst, der die Spitze der Bundes-CDU nach anfänglichen Bedenken ihren Segen gab. Unheil muss der starke Mann der Brandenburger Konservativen, der sich gern als Macher-Typ gibt, aber mangels personeller Alternativen nicht befürchten.

Trotz aller Auseinandersetzungen, Widersprüche und Unwägbarkeiten sehen neutrale Beobachter keine ernsthafte Gefahr für das Brandenburger Zweckbündnis. Stolpe, der in seiner Partei zwar an Autorität verloren hat und nicht mehr uneingeschränkt schalten und walten kann, gilt als Garant der großen Koalition. Und die Christdemokraten haben allein im Interesse ihres Machterhalts keinen „Bedarf“ an einem Bruch. Im Unterschied zu den Sozialdemokraten fehlt ihnen bei der Wahl des Koalitionspartners nämlich eine Alternative. Die Liberalen als traditionelle Verbündete kriegen in Brandenburg kein Bein auf die Erde und in den Landtag.

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