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Im Gesamtkunstwerk leben

Leasen, leihen, abonnieren: Die Wohnung mit echter Kunst zu verschönern, können sich auch Normalverdiener leisten  ■ Von Gernot Knödler

Einen echten Beuys fürs Wohnzimmer? Mögen Sie nicht? Also lieber eine Original-Grafik von Sigmar Polke oder Klaus Kumrow? Viel zu teuer? Können sie sich aber ohne Weiteres übers Bett hängen und jeden Morgen vor dem Aufstehen betrachten. Die Griffelkunst-Vereinigung machts möglich, ebenso wie eine Reihe von Galerien, die Kunstwerke verleihen oder KünstlerInnen vermitteln.

„Zur Lebensqualität gehört auch Kunst“, sagt Professor Ralf Busch, der Direktor des Helms-Museums. Der Kunsthistoriker sitzt im Vorstand der Griffelkunst-Vereinigung, die es sich vor einem Dreiviertel-Jahrhundert zur Aufgabe gemacht hat, allen den Besitz von originaler Druckgraphik zu ermöglichen. Für einen Beitrag von 200 Mark im Jahr dürfen die Mitglieder in jährlich zwei Ausstellungen je zwei Grafiken oder Fotografien aussuchen.

Damit die Preise niedrig bleiben, richtet sich die Auflage nach der Zahl der Bestellungen. Überdies erhalten die KünstlerInnen nur ein bescheidenens Honorar, so dass es den Professor besonders freut, „wenn man jemanden 'rumgekriegt hat, diese Art der Vermittlung zu akzeptieren“. Die einmal festgelegten Auflagen werden nicht nachträglich erhöht.

Busch zufolge entstand die Griffelkunst-Vereinigung zusammen mit der Gartenstadt-Bewegung in Langenhorn, die sich gesunde Wohnverhältnisse für Arme auf die Fahnen geschrieben hatte. Daraus folgte die Überlegung „den dort Wohnenden die Möglichkeit zu geben, Kunst zu erwerben“, sagt Busch. Der Lehrer Johannes Böse, der die Vereinigung begründet hat, verfolgte außerdem eine erzieherische Absicht. Er wollte die Liebe zur Kunst fördern, indem er die Menschen zum Sammeln anregte.

Heute hat die Griffelkunst-Vereinigung in Deutschland 4200 Mitglieder und eine Warteliste mit 100 Namen. Sie hatte nicht nur berühmte Künstler im Programm, sondern auch prominente Zeitgenossen in ihren Reihen wie Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. „Im Laufe der Jahrzehnte gab es immer genügend Interessenten“, sagt Busch.

Wer kein halbes Jahr auf die Aufnahme in die Griffelkunst warten will, für den bieten viele Galerien maßgeschneiderte Angebote. „Ich bin zu allen Konzessionen bereit, die die Künstler mitmachen“, sagt zum Beispiel Bernd Mensch. „Ein Student, der sich nicht mehr schlafen legen kann, weil er ein Bild gerne haben möchte“, kann sich bei ihm ein Gemälde zunächst ausleihen und den Kaufpreis über die Leihgebühr abstottern.

Solchen Kunden sei eine Leidenschaft für die Kunst in die Wiege gelegt worden, der man Rechnung tragen müsse, findet der Galerist, denn: „Die Liebe zur Kunst ist zu wertvoll.“ Die Raten – 50, 200, 500, 1000 Mark im Monat – richteten sich nach den Möglichkeiten des Kunden. „Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Künstler nicht mitmacht“, sagt Mensch.

Bei der Auswahl der Werke achte er auf handwerkliches Können und auf die Aussage der Kunstwerke. „Was ich mir nicht leisten kann, sind destruktive Inhalte“, sagt er. „Dafür bin ich eben kein Museum.“ Privat besitze er zwar solche Bilder, er hänge sie jedoch nicht dorthin, wo er sich erholen wolle. „Die Menschen brauchen zu Hause Vitamin für die Seele“, glaubt Mensch.

Kitsch kommt bei ihm ebensowenig in die Ausstellung wie bei Ruth Sachse, die in ihrer Galerie ebenfalls flexible Lösungen für KunstkäuferInnen anbietet: vom Ausleihen wechselnder Arbeiten bis hin zum Mietkauf. Zu den Aufgaben der Galeristin gehört für sie, KundInnen vor Kitsch zu bewahren. „Man möchte vermeiden, dass der Besuch zu Hause womöglich peinlich berührt ist“, sagt sie.

Neben Privatleuten, die ihr Heim verschönern möchten, vermittelt Sachse Kunst an Firmen. Statt des dekorativen Elements stünde dabei der Wunsch im Vordergrund, die Corporate Identitiy zu unterstützen und Besuchern ein Gesprächsthema zu bieten.

Auch Art goes Public vermittelt Kunst an Unternehmen. Daneben beschäftigt sich die Galerie mit einer weiteren Variante, Privathaushalte mit Kunstwerken zu versorgen: Sie vermittelt KünstlerInnen für den Innenausbau, für Mosaiken, Wand- und Bodenmalereien sowie Installationen. Fliesenmosaiken, erzählt die Galeristin Sabine Horstmann, seien zum Beispiel nicht viel teurer als die Fliesenlegerei eines Handwerkers. Dafür habe die Kundin dann die Chance, „im Gesamtkunstwerk zu leben“.

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