Berti – das Gute kehrt zurück

von PETER UNFRIED

Ist es wahr? „Es ist wirklich wahr“ (Bild). Er ist wieder da.

Berti. Nach 792 Tagen als „Rentner“ (6.000 Mark monatlich vom DFB). Heute in Freiburg wird noch Rudi Völler für den Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen auf der Bank sitzen. Aber natürlich werden alle nur von Berti reden. Und wie alles werden wird. Für Bayer. Für die Bundesliga. Für die Menschen. Die große Frage: Ist Deutschland wirklich schon wieder bereit für Berti?

Es sieht ganz danach aus. Alle freuen sich. Zum Beispiel Monika Vogts, eine Hausfrau aus Kleinenbroich. Das liegt bei Korschenbroich. Die Ehefrau von Berti hat überhaupt keine Bedenken. Sie sagt: „Schlimmer kann es nicht mehr kommen.“ Sie meint: Schlimmer als 1998. Hoffentlich hat sie Recht. Denn da hatte Berti nach übereinstimmender Meinung der Deutschen ihren Fußball und das Land auf den Hund gebracht.

Statistisch betrachtet war Berti ein echter Erfolgstrainer (102 Spiele für den DFB, 67 Siege, 23 Remis). Und im Gegensatz zu 1994 war das Erreichen des WM-Viertelfinales angesichts des Teampotenzials ein echter Erfolg. Dennoch avancierte er zum „Symbol des Niedergangs“ (Frankfurter Rundschau), das Deutschland „in die Steinzeit“ (SZ) zurückgecoacht habe. Das hing damit zusammen, dass Vogts’ Fußball mit tiefem Libero schon 1994 überholt war. Schlimmer aber war: Der „schlechteste Verlierer der WM“ (FAZ) hatte nach dem klaren 0:3 im WM-Viertelfinale gegen Kroatien so lange gehadert, lamentiert und mit Verschwörungstheorien um sich geworfen („das dritte Tor war klares Hand“), bis die letzte Restsympathie verloren war. Berti repräsentierte in seiner Kleinenbroicher Beamtenkleinkariertheit vor den Augen der Welt den hässlichen Deutschen, wie ihn selbst der hässlichste Deutsche nicht mehr sehen mochte. Er stehe, schrieb Dirk Schümer in der FAZ, „für all die Technokraten, die sich bis zum letzten Moment an einer Macht festklammern, die für sie zu komplex geworden ist“.

Er offenbarte nach den Verbrechen deutscher WM-Touristen in Lens ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat („es wird auch hier wieder ein deutscher Rechtsverdreher Chaoten vertreten“) Er brabbelte Selbstverständlichkeiten so lange, bis jeder wusste, dass er das Gegenteil dachte („mir wäre es lieber, wir hätten verloren, dafür aber wäre der Polizeibeamte noch gesund“). Verspielte mit seinem Einknicken vor der Bild-Zeitung und der Rückholung des von ihm entfernten Lothar Matthäus nicht nur seinen inhaltlichen Hauptgewinn, sondern jeglichen moralischen Kredit.

Im Herbst 1998 ging der Kohl-Verteidiger über Bord. Mit seinem großen Freund. Und heute? Ist der eine (Kohl) das Sinnbild des Verderbten, des hoffnungslos Amoralischen – und der andere (Berti) die Rettung davor.

Selbst Alfred Draxler, Bild-Sportchef und seit Bertis Ende wieder inoffizieller Bundestrainer, hat den Paradigmenwechsel zwischen dem wegen Drogenkonsums davongejagten Leverkusener und Fastbundestrainer Christoph Daum und dem „untadeligen Sportsmann“ Berti erkannt. „Zwei verkokste Weltmeisterschaften“ lastet Bild Berti nicht an, nur zwei „verkorkste“. Gestern war das ein Verbrechen, heute ist es eine Nebensächlichkeit.

Viel wichtiger ist, was Umfragen in der Branche ergeben: Es gibt offenbar bis heute nirgendwo einen Giftschrank, aus dem Berti Enthüllungen zu befürchten hätte. Es gibt keine handelsüblichen Gerüchte aus der Unterhose. Bei realistischer Sicht der Dinge weit und breit keine Sekretärin, die er ent- bzw. beehrt haben könnte. Und dass Berti sich mit Kokain dopen könnte? Hihihhi.

In Deutschland schlägt die Stunde der Moral. Wo das Böse auf jeder Kloschüssel lauert, bringt Berti Werte ein.

Sitte. Anstand. Treue. Kleinenbroicher Authentizität. Hurra: Der Gartenzwerg ist wieder wer. Die CDU wird ihn umarmen. Das Motto des „Big Brother“-Helden Zlatko Trpkovski („Zlatko“) ist auch Bertis: „Ich bleibe, wer ich bin.“ Gestern war das ein Problem. Heute die Rettung vor dem Übel.

Natürlich gibt es Widerstände. Aber die sind marginal. Leverkusens Profis zum Beispiel hatten sich die Woche über für die verdruckste Branchensprache fast schon revolutionär unverhüllt gegen Berti ausgesprochen. Wegen fachlicher Bedenken. Leverkusens Anhänger wedelten mit Transparenten („Bitte nicht Berti!“).

Als ginge es hier nur um Fußball.

Es geht um einen Konzern. Um zwei Konzerne. Den Pharmakonzern Bayer. Und die Moral- und Tugendanstalt Deutscher Fußball.

Da ist der „Antiheld“ (SZ) Vogts gefragt.

Das entspricht den Zeitläuften. Ist bei Clinton ja nicht anders. Was sind Erfolge in Außen-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik gegen einen offenen Hosenlatz? Weshalb Gore und Lieberman lieber die Moral vor sich hergetragen haben (und Bush mangels Alternativen sowieso).

Was das Fachliche betrifft, sichert Bayer Berti mit „dem größten Trainerstab aller Zeiten“ (BZ) ab. Außerdem hat Berti sich zwei Jahre entwickelt. Machte bei Manchester United ein Praktikum. War oft in Dubai. So weitergebildet, ging er am Donnerstag in die Bayer-Kabine und sagte dem Team: „Ihr seid eine tolle Mannschaft.“ Psychologisch natürlich ein raffinierter Schachzug. Genau wie die Tatsache, dass er jetzt immer von seinem geheimnisvollen „Konzept“ redet. Fast wie einst Richard Nixon von seinem „Plan“, den Vietnamkrieg zu beenden.

Was bei Berti genau dahinter steckt, darüber muss er jetzt jeden Donnerstag mit der Presse reden. Wo er die doch hasst. Wo er doch „alles andere als ein großer Redner“ (Max Merkel) ist. Bei seiner Comeback-Pressekonferenz redete er jedenfalls so, wie er immer redet („wir wollen auf Dauer einen Titel holen“).

Das nachgestellte „ja“, das erweiterte „ja, natürlich“, die Besserwisser- und Gönnerhaftigkeit, mit der er schon wieder bereit ist, dem Nachfolger als DFB-Teamchef Rudi Völler „manchen Tipp zu geben“: Für die einen ist das langweilig. Für die anderen ist es auch langweilig – aber wohltuend langweilig.

Keine Rede mehr davon, dass er eigentlich viel lieber, wie er einst verklärt schwärmte, „an den Südzipfel Chiles reisen und dort den Königspinguin in freier Natur beobachten“ würde. Das ist Romantik für schwache Stunden. Worin Berti wirklich Erfüllung findet, hat wohl keiner kürzer und genauer analysiert als der kluge Populärphilosoph Stefan Raab, der da sang: „Wer regiert den Speiseplan? Berti Vogts, Berti Vogts.“

Ja, Berti (53) regiert wieder den Speiseplan. Berti ist jetzt „selig“ (Bild).