: Historikerstreit auf italienisch
■ Im Staatsarchiv dokumentiert die Foto-Ausstellung „Partigiani“ die Geschichte des italienischen Widerstands gegen die Nazis
Substantive werden im Italienischen klein geschrieben. Resistenza nicht. Im Gründungsmythos der italienischen Republik nimmt die „Resistenza“, der militante Widerstand der AntifaschistInnen gegen die nazistischen Besatzer, eine zentrale Rolle ein. Italien hat den Faschismus erfunden. Italien hat aber auch an der Seite der Alliierten eigenhändig jene Geister wieder vertrieben, die es einst beschworen hat. Mochte auch, von der konservativen DC bis zur kommunistischen PCI, der Gegensatz im italienischen Nachkriegsparteienspektrum so groß sein wie in keinem anderen westeuropäischen Land, in der Berufung auf die Resistenza überwanden Rechte wie Linke ihre ideologischen Gegensätze und schufen so den wirkmächtigen „Konsens der Demokraten“.
Wie so vieles, so ist nach dem Systemwechsel 1989/90 auch dieser Konsens ins Wanken geraten. Italien erlebte seinen ganz eigenen Historikerstreit. Eine Gruppe von Forschern um den vor vier Jahren verstorbenen, namhaften Faschismusexperten Renzo de Felice wagte den Angriff auf den „Mythos Resistenza“. Der habe, so die These, überdeckt, dass sich nur wenige ItalienerInnen aktiv den Nazis widersetzt haben und dass der Großteil der Bevölkerung es allenfalls zum passiven Mitläufertum gebracht habe.
Den Nerv aber traf ein anderer Vorwurf de Felices. Durch ihre Attentate auf Nazis, bei denen sie bewusst tödliche Vergeltungsaktionen der Deutschen an der italienischen Zivilbevölkerung in Kauf genommen hätten sowie aufgrund mörderischer Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen seien die Resistenza-KämpferInnen auch in moralischer Hinsicht kaum besser gewesen als ihre Gegner.
Tatsächlich war schon bemerkenswert, wie viele ItalienerInnen sich plötzlich nach dem Krieg daran erinnern konnten, mit dem Beginn der Resistenza am 8. September 1943 ihr Dasein im Grunde als todesmutiger antifaschistischer Kombattant verbracht zu haben. Und zweifellos bestand die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung aus Menschen wie du und ich, die mit eingezogenem Kopf schlicht darauf warteten, dass das Unwetter vorbeiziehen möge. War die Resistenza also, wie der von revisionistischen Untertönen durchzogene Historikerstreit zuweilen glauben machen wollte, nicht mehr als ein liebevoll gepflegtes italienisches Nachkriegsmärchen?
Die nun im Foyer des Bremer Staatsarchivs zu sehende Ausstellung „Partigiani“ dokumentiert auf knapp 50 Schautafeln material- und bildreich das Gegenteil. Auch in ihren realistischen Dimensionen war die Resistenza ohne Zweifel ein bemerkenswerter Akt zivilen Widerstands. In zehn thematischen Schritten zeichnet die von diversen italienischen Geschichtsinstituten erarbeitete Ausstellung nach, wie es zur Resistenza kommen konnte und welche Ausmaße sie vor allem in Norditalien hatte.
Immerhin 300.000 aktive PartisanInnen, unter ihnen viele Frauen, widersetzten sich mit Sabotageakten und Sprengstoffanschlägen der nach Mussolinis Sturz installierten kryptofaschistischen Badoglio-Regierung und den deutschen Besatzern. Ungezählte Menschen aus der Bevölkerung unterstützten darüber hinaus die KämpferInnen, versorgten sie mit Nahrungsmitteln, besorgten ihnen Verstecke, warnten sie vor den Verfolgern. Den militärischen Sieg über die FaschistInnen konnte die Resistenza zwar erst an der Seite der alliierten Streitkräfte erringen. Doch der moralische Triumph, sich den Massenmördern nicht willenlos ergeben zu haben, fußt in der Gewissensentscheidung eben jener mutigen Frauen und Männer, von denen im Staatsarchiv Zeugnis abgelegt wird.
Die Wurzeln der Resistenza verortet „Partigiani“ bereits in den 1930er Jahren. Mussolinis erfolglosen Versuch, Italien durch Kolonialkriege in Afrika, der Unterstützung des Diktators Francos im spanischen Bürgerkrieg und das Bündnis mit Hitlerdeutschland zu einem Imperium im Stile des römischen Reiches zu führen, traf ein in jeder Hinsicht überfordertes Land. Weder die mangelhafte industrielle Infrastruktur noch die dürftigen ideologischen Voraussetzungen in Armee und Bevölkerung konnten als Basis für diese größenwahnsinnigen Pläne herhalten. In Mussolinis kläglichem Scheitern gründet sich der Rückhalt der PartisanInnen in der Bevölkerung, in der trotz deutscher Propaganda nach 1943 kaum noch jemand den gründlich desavouierten Heilsversprechen des Faschismus Glauben schenkte.
Neben zahlreichen Fotos aus dem Partisanenkrieg, die führende Resistenza-Köpfe und deren Schicksale erzählen, dokumentiert „Partigiani“ darüber hinaus detailliert die Strategien des Partisanenkampfes, erläutert die logistischen Erfordernisse ebenso wie die blutigen Niederlagen, die immer wieder zu strategischen Neuorientierungen geführt haben. Eigene Kom-plexe beschäftigen sich mit den zahlreichen Vergeltungsmassakern der deutschen Besatzer an der Bevölkerung, der 10.000 Menschen zum Opfer fielen, sowie der weitgehend unbekannten Geschichte deutscher Wehrmachtsdeserteure, die sich nach ihrer Flucht der Resistenza anschlossen.
Ausführlich widmet sich die Ausstellung auch den internen Auseinandersetzungen zwischen den kommunistischen Verbänden und den zahlreichen anderen Gruppierungen. Zweifellos gehören diese Bruderkämpfe nicht zu den ruhmreichen Kapiteln der Resistenza. Doch, auch das zeigt die Ausstellung: Der Resistenza aufgrund dieser Exzesse jede moralische Überlegenheit gegenüber dem faschistischen Feind abzusprechen, käme einer grotesken Verzeichnung der Historie gleich. zott
Die Ausstellung „Partigiani. Gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Der Widerstand in Italien“ ist noch bis zum 24. November im Foyer des Staatsarchivs (Kennedyplatz) zu sehen. Zur Ausstellung wurde eine Reihe mit Begleitveranstaltungen im Staatsarchiv konzipiert: Heute Abend referiert der Historiker Gerhard Schreiber über „Deutsche Kriegsverbrechen gegenüber ItalienerInnen“ (19.30 Uhr).
Am 21. November hält die Historikerin Elisabeth Dickmann einen Vortrag über „Das vergessene Heer. Frauen im italienischen Widerstand und ihre Rückkehr in die Normalität“ (19.30 Uhr).
Das Cinema zeigt am 17. und 24. November jeweils um 19 Uhr Filme über die Resistenza.
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