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berliner ökonomieMeditationen zwischen Kreuzberg und Springfield

Im Tank

Keine Ahnung, wann ich zuerst von John C. Lilly hörte. Eine Freundin besitzt ein Buch des amerikanischen Delfin- und Bewusstseinsforschers, der 1954 den Isolationstank erfand. In „Das tiefe Selbst“ geht es um Sinnesreizentzug und allerlei Erfahrungen mit dem Isolationstank, den man sich als eine Art verschließbare Badewanne mit tragender, körperwarmer Salzlösung vorstellen kann, in die kein Laut und Licht reinkommt. Der Schriftsteller Rainald Goetz erzählte mal, dass Lilly auch als LSD-Forscher und Ketamin-Experte berühmt sei.

Wie die anderen Helden der Bewusstseinsforschung kommt auch Lilly aus der Naturwissenschaft, und sein Isolationstank ist recht populär. Es gibt zum Beispiel eine Simpsons-Folge, in der Lisa und Homer im Isotank Rebirthing übten. Ich freute mich jedenfalls sehr, als Friedhelm Böpple mir anbot, mal in den Isolationstank zu gehen, zumal ich zuvor gar nicht gewusst hatte, dass es so was auch in Berlin gibt.

Böpple ist Anfang vierzig, Autor eines Buches über die „Generation Ecstasy“ und beim Kreuzberger SO 36 für „soziokulturelle Veranstaltungen“ zuständig. Anfang des Jahres hatte er mit Freunden in Kreuzberg die Galerie Transition gegründet. Transition hatte unter dem Titel „Biofeedback“ im Mai eine Ausstellung gemacht, in deren Mittelpunkt ein Isolationstank stand. Musiker nahmen die Körpergeräusche von Tankinsassen auf und machten Musik daraus.

Der Isolationstank wird auch „Samadhitank“ genannt. Wenn die Klappe zu ist, ist es still und warm, und man soll – so Lilly – in der Lage sein, „mit der Meditation dort zu beginnen, wo man außerhalb des Tanks erst nach einiger Zeit und Mühe hinkommt. [...] Von keinen äußeren Reizen abgelenkt, beginnt man sich sofort auf seine inneren Wahrnehmungen zu konzentrieren und taucht tief in den eigenen Geist ein.“ Klingt wie ein Meditation-Light-Programm für Manager, die sich die Mühen traditioneller Meditationstechniken ersparen wollen. Andererseits wird man in der Großstadtwelt ja tatsächlich mit so vielen Außenreizen zugeballert, dass man schon sehr talentiert sein muss, um ab und zu mal zu sich zu kommen.

In seinem Isolationstankbuch berichtet John C. Lilly ausführlich von seinen langjährigen Isolationstankexperimenten. Die Texte ähneln denen amerikanischer LSD-Propagandisten, Lillys Metaphorik kennt man von amerikanischen Psycho- und Wellness-Sekten und der auch in Deutschland seit einigen Jahren recht beliebten NLP: Statt von Geist oder Bewusstsein redet man von „Programmen“, „Metaprogrammen“, Reprogrammierungen und so weiter. Wenn das als autonom gesetzte Ich leidet, gibt es wohl einen Programmfehler und man muss alles neu formatieren, programmieren.

Wenn man „Programme“ durch angesehenere Begriffe ersetzt – „Wiederholungszwang“, „autodestruktive Süchte narzisstisch gestörter Mitbürger“ oder so – klingt das vernünftiger. Es gibt viele, die sich immer wieder in autodestruktiven Schleifen verfangen und in sich selbst sozusagen die Mechanismen einer Gesellschaft wiederholen, die bekanntlich von Süchten, Surrogaten, Benzin und Fetischismen angetrieben wird. Surrogate führen zur Wiederholung und halten die Wirtschaft am Laufen.

Im „tiefen Selbst“ klingt manches etwas exotisch. Lilly suchte zum Beispiel nach „anderen Seinsformen (keine Menschen), in denen ich existierte, und die die Kontrolle über mich und andere Menschen haben“. Friedhelm Böpple allerdings findet den esoterischen Nebel blöd, der den Isolationstank umgibt, und gibt sich pragmatisch: „Seitdem ich in den Tank gehe, sind meine Verspannungen im oberen Nackenwirbelbereich weg.“

Weil das Berliner Interesse an Isolationstanksitzungen über Erwarten groß war, kauften Böpple und seine Freunde den Tank für 25.000 Mark und gründeten vor ein paar Wochen „altered states“, eine Art Isolationstankverein, deren Mitglieder für 75 Mark im Monat mehrmals in den Tank dürfen. Es können auch tageweise Mitgliedschaften fürs gleiche Geld erworben werden. Im bhagwanistischen „Zentrum des Zyklons“, in dem seit 1984 ein Isotank steht, kosten schon anderthalb Stunden 90 Mark.

Viele Freunde, Bekannte und Journalisten, die gern drüber schrieben, brachte Böpple bislang in den Tank. Zuvor solle man keinen Kaffee trinken, hatte er mir zuvor eingeschärft. Denn: „Ohne Kaffee zu trinken, kann man im Tank umfassendere Erfahrungen machen, als wenn man ohne ihn nicht auskommt“ (Lilly).

Spaß beiseite. Der Kreuzberger Isotank sieht aus wie ein i-Mac und fühlte sich an wie eine Mischung aus Sauna und Meditation. Wenn man drin ist, denkt man, mit was für Unsinn man sich draußen doch stresst aus Angst vor Langeweile, und hört von ganz fern her die Straße. Spektakuläreres soll, so sagt man, erst nach mehreren Sitzungen geschehen. Als ich wieder draußen war, zeigte mir der Tankbetreiber ein Album mit Bildern zufrieden lächelnder Tankbenutzer danach. Frauen fänden es durchschnittlich noch besser als Männer. Im Treppenhaus, auf dem Weg in die weitschweifige Büroetage der Galerie Transition, begegnete uns passenderweise noch eine rothaarige Kunstdozentin, die, weil es ihr so gut gefallen hatte, einen selbst gebackenen Erdbeerkuchen vorbeibrachte.

DETLEF KUHLBRODT

Fortsetzung folgt

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